CdN Magazin 37 ePaper

31 D F B - S T I F T UNG E N CDN - MAG A Z I N 3 7 | 2 01 8 Rrrruuuums. Man sucht Naldo oder Roberto Carlos oder Michael Ballack in der Halle, so wird hier gehämmert. Die Bälle klatschen an Pfosten und Latte, die Tornetze beulen sich. 14 junge Inhaftierte nehmen keine Gefangenen. Eine Schussflanke zischt Richtung Hal- lentor, ein Spieler, drahtig wie Antonio Rüdiger, schraubt sich hoch und höher und trifft den Ball satt mit der Stirn. Martin Wagner beobachtet, kommen- tiert, korrigiert und spielt mit. 300 Kilo- meter ist Wagner gefahren, um die Jugendlichen kennenzulernen. Sein Besuch in der Jugendstrafanstalt Witt- lich ist ein Termin der Initiative „Anstoß für ein neues Leben“. Seit vier Jahr­ zehnten engagiert sich Deutschlands älteste Fußballstiftung, die Sepp-Herberger-Stiftung, für die Menschen hinter Gittern. Man folgte damit dem Wunsch des „Chefs“, der sich den Besuchen in Haftanstalten Anfang der 70er-Jahre verschrieben hatte. „Wer oben ist, darf die unten nicht verges­ sen“, mahnte Herberger immer wieder. Wer mit 18 oder 20 Jahren einsitzt, muss sich schon ordentlich schuldig gemacht haben. Das Strafregister reicht vom Einbruch bis zum Mordversuch, wegen Bagatellen ist keiner hier. Die Geschichten der Jugendlichen kennt Wagner nicht, für ihn sind diese auch unerheblich. „Mit ist es egal, was die Jungen gemacht haben. Vergangen­ heit, Herkunft, Nationalität – das ist mir alles egal, Mentalität nicht. Wir müssen sie daran erinnern, wer sie mal waren, dann kommen sie nach der Entlassung wieder besser zurecht“, sagt Martin Wagner. Auch die Jugendlichen wissen zunächst nicht, wer ihnen da gegen­ übersitzt. Die Geschichte des Martin Wagner muss ihnen noch erzählt werden. Der Pokalsieg 1996 über den Karlsruher SC durch sein legendäres Freistoßtor gegen Claus Reitmaier, 1998 Kaiserslauterns Meistertitel als Aufsteiger – da waren die meisten von ihnen nicht geboren. Horst Eckel, Uwe Seeler, Jens Nowotny: Viele ehemalige Nationalspieler unterstützen die DFB-Stiftungen. Auch Martin Wagner engagiert sich für die gute Sache. Ende November war er in der Jugendvollzugsanstalt Wittlich, das CdN-Magazin hat ihn begleitet. Macht nichts, Wagner weiß Distanzen zu überwinden. Dem 50-jährigen Ex-Natio- nalspieler gelingt es schnell, das Eis zu brechen. Weil seine Geschichte neben dem Licht auch Schatten kennt. Oben und auch ziemlich unten – Martin Wagner hat beides gesehen. Und es gibt eine Parallele zu den Jugendlichen, auch Wagner kennt Gefängnisse als Insasse. Vielleicht trifft er auch deshalb hier in Wittlich immer den richtigen Ton. Wagner kennt Tiefschläge. Er kennt sie in seinem Privatleben, er kennt sie in seinem Sportler-Leben. Hinfallen und aufstehen Am 34. Spieltag der Saison 1995/96 hatte er gesperrt von der Tribüne aus verfolgen müssen, wie Markus Münch mit dem späten Ausgleich den ersten Abstieg des Traditionsklubs 1. FC Kai- serslautern besiegelte. Nach 33 Jahren Bundesliga. „Für mich war es damals grausam, in Leverkusen nicht zu spielen. Ich war gesperrt und sehe, wie Münch kurz vor Schluss dieses sensationelle Tor macht. Du sitzt auf der Tribüne und bist zum Zuschauen verdammt, du musst das verfolgen – nicht nur wie eine Mann- schaft absteigt, sondern eine ganze Region. Du erlebst, wie dich ältere Leute und auch Kinder anflehen, dem Klub treu zu bleiben, wie Tränen fließen.“ Er muss tief durchatmen, selbst 22 Jahre später noch. „Wir als Mannschaft hatten versagt. Wir hatten uns über die Saison immer wieder in Kleinkriegen verstrickt. Wir haben übereinander gesprochen und nicht miteinander.“ Doch den Roten Teufeln blieb keine Zeit zum Trauern. Nur eine Woche später stand man im DFB-Pokalfinale gegen den Karlsruher SC. Die 42. Minute war angebrochen im Berliner Olympiastadion, da hämmerte Wagner einen Freistoß ins Tor, Claus Reitmaier durch die Beine. Sein ganzer Frust entlud sich in diesem Schuss, der Pokalgeschichte machte. Lautern war Pokalsieger, ein Jahr später Aufsteiger, dann Deutscher Meister. „Otto Rehhagel hat es möglich gemacht“, sagt Wagner.

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