CdN Magazin 33 ePaper

29 VOR 5 0 JA H R E N CDN - MAG A Z I N 3 3 | 2 017 Schön: „Recht unglücklich gelaufen“ Für die Höhepunkte dieser Partie hätten allerdings fünf Minuten gereicht, denn die Schön-Elf brachte trotz Dauerdomi- nanz keine klare Torchance zu Stande. Netzer sagte hinterher: „Auf dem holpri- gen Platz waren wir alle hilflos.“ Netzer inklusive, fand jedenfalls der „kicker“. Die Fachzeitschrift urteilte „Das größte Rätsel gab Netzer auf. In der Mannschaft Mön- chengladbachs sorgt Netzer für Ruhe und Besonnenheit. Doch Netzer scheint ein völlig anderer Spieler zu sein, wenn er sich das Nationaltrikot überstreift. Nervös, ängstlich, kein Kontakt.“ Die Mannschaft blieb an diesem düs­ teren Dezember-Nachmittag weit un- ter ihren Möglichkeiten, vielsagend war das Fazit von Albaniens Torwart Dinega: „Ich hatte keinen Ball zu halten. Alles war für mich sehr leicht.“ Helmut Schöns Resümee klang so: „Das war ein Spiel, wie es immer wieder vorkommen wird. Gekämpft hat die Mannschaft zwar, aber insgesamt ist alles recht unglücklich gelaufen.“ Über den Vatikan in die Heimat Die deutsche Presse ging hart ins Gericht. „Was da auf dem Spielfeld stand, war nur dem Namen nach der Vizeweltmeister des Vorjahres, vom Können der dama­ ligen Elf meilenweit entfernt“, urteilte das „Sportmagazin“. Der „kicker“ titelte: „Ein schwarzer Tag des deutschen Fußballs!“ Der DFB ließ sich aber nicht zu Aktio­ nismus verführen, der Tross trat den geordneten Rückzug an. Er führte über Rom, wo die Delegation einen vorher angemeldeten Besuch im Vatikan machte. „Der Papst hat uns dann alles verziehen“, sagt Schulz, der heute über die Blamage lachen kann. Wie auch viele seiner damaligen Kollegen. Auf den Punkt brachte es der Kölner Wolf- gang Weber, für ihn ist das Spiel ein Mysterium. Weber sagt: „Im Prinzip ge- hört dieses 0:0wohl zu den unerforschten Geheimnissen dieser Erde.“ Udo Muras Patzke weiß heute noch sehr gut, wie skurril ihm vieles auf dieser Länderspiel- reise erschienen ist. Er erzählt: „Der damalige Führer Albaniens, Enver Hoxha, hatte in den 60er-Jahren ein sehr enges Bündnis nach China – in den ersten Jahren unter seiner Ägide wurde der Maoismus zur offiziellen Linie seiner Partei erhoben. Deswegen lag im Hotel überall die Mao-Bibel herum.“ Im Fern- sehen liefen vorwiegend chinesische Kriegsfilme, auch die Trainingsbälle, die man den Deutschen zur Verfügung stellte, hatten den Aufdruck „Made in Shanghai, China“. Nicht nur Vorstopper Willi Schulz fand: „Da war die Zeit um 100 Jahre zurückgedreht.“ und Günter Netzer sollten gemeinsam das Spiel lenken, in der Abwehr standen in Willi Schulz und Horst-Dieter Höttges zwei Teilnehmer des Wembley-Finals. Nur der Sturm war ausgedünnt – ohne Müller und Seeler. Doch der beste Tor­ jäger der Bundesliga stand im Aufgebot: Peter Meyer aus Gladbach, der in der Vorrunde sagenhafte 19 Treffer erzielt hatte. Schön war fest entschlossen, den „Pitter“ in Tirana debütieren zu lassen, und der bekräftigte ihn darin. Zum Gaudium der Kollegen munterte der Rheinländer den latent am Erfolg zwei- felnden Schön auf. Mit diesen Worten: „Keine Sorjen, Herr Schön. Der Pitter makt dat schon.“ Er sollte sich irren. Reise in eine andere Welt Das Spiel fand unter ungewöhnlichen Bedingungen statt, die gesamte Reise war eine Reihung von Absonderlich­ keiten. Albanien war damals das rück- ständigste Land Europas und wählte die Isolation, die Grenzen zu Griechenland und Jugoslawien waren dicht. Es pflegte seine intensivsten Beziehungen zu China, und diese Verbindung sollten auch die Deutschen zu spüren bekommen. Doch der Reihe nach: Helmut Schön und seine Spieler wurden vom alba­ nischen Nationaltrainer Loro Borici persönlich am Flughafen abgeholt. Untergebracht waren sie im Hotel Daitji. Verteidiger Bernd Patzke von 1860 München sagte mehr als 40 Jahre später dem Portal fussballdaten.de : „Das Hotel war unglaublich karg, die Leute waren alle grün gekleidet und trugen alle die Chinamützen.“ Uniform sei auch die Verpflegung gewesen, berichten die Spieler. „Das Fleisch-Kombinat war wohl geschlossen, nur das Eier-Kombinat funktionierte“, witzelte Willi Schulz rückblickend im Gedenken an „drei Tage Rühreier von morgens bis abends“. Immerhin war für Unterhaltung gesorgt. Noch am Sams- tag luden die Albaner ihre hohen Gäste ins Theater ein, wo ein Stück zur Be­ freiung des Landes von den Türken 500 Jahre zuvor gegeben wurde – in Form eines „dramatischen Balletts“. Auch am Spieltag wunderte sich so mancher deutscher Spieler über so manche Situation. Günter Netzer weiß zu berichten, dass zunächst keiner aus dem Bus steigen wollte, weil alle dach- ten, der Fahrer hätte sich verfahren: „Vor dem Stadion stand kein Auto – und das bei einem Länderspiel! Das wollte nicht in unsere Köpfe rein!“ Schulz erinnert sich an „breite Straßen, die leer waren, kein Auto fuhr.“ Mit den Bedingungen in Tirana hatten auch die deutschen Medien ihre Mühe. Den Reportern standen nur zwei Tele- fonleitungen zur Verfügung, die immer wieder gestört waren. Das deutsche Fernsehen hatte keine Direktübertra- gung bekommen und informierte die Heimat erst in der Nacht zu Dienstag in einer Zusammenfassung. Im Radio war immerhin die zweite Halbzeit zu hören. «D I E S E S 0 : 0 GEHÖR T ZU DEN UNE R FORSCHTEN GEHE I MN I S S EN D I E S E R E RDE . »

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