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SERIE SCHLÜSSELSPIELER ( TEIL 6)
INNENSTÜRMER
In einer Zeit, da martialische Bilder und Begriffe zum Fußballdeutsch gehörten, nannten sie
Gerd Müller den „Bomber der Nation“. Diese kriegerische Metapher weckte vollkommen
falsche Assoziationen, da Gerd Müller, der bis heute beste der besten deutschen Stürmer, so
gut wie nie ein Tor mit „Schmackes“, also mit Anlauf und Wucht von außerhalb des Strafraums,
erzielte. Seine Kunst bestand vielmehr darin, seinem Instinkt zu vertrauen, schneller als seine
Gegenspieler Witterung aufzunehmen, wenn der Moment zum Torschuss da war.
Ob echter „Bomber“ oder „falscher“ Neuner – im Angriffszentrum entscheidet:
Dann „müllerte“ es, wie es damals in
den 70er-Jahren hieß, als die deut-
sche Nationalmannschaft mit Gerd
Müller als weltweit herausragendem
Angreifer Europameister (1972) und
Weltmeister (1974) wurde. Haupt­
sache drin, lautete sein Dauerauf-
trag, und da spielte es keine Rolle, ob
er aus dem Stand, aus der Drehung,
im Fallen, im Sitzen oder per Kopfball
zuschlug. „Ich habe mein Glück“,
sagt der stets bodenständig ge­
bliebene frühere Stürmerstar des
FC Bayern München, „fast immer
direkt vor dem Tor gesucht“.
So war er denn in 62 Länderspielen
68 Mal erfolgreich und traf in 453
Bundesligaspielen 398-mal: eine
Spitzenquote, die auf maschinelle
Präzision deutet. Tatsächlich waren
Müllers Treffer oft genug situative
Kunstwerke, erzielt mit dem Rücken
zum Tor wie beim 2:1 zum WM-Final-
sieg über die Niederlande, oder aus
höchster Bedrängnis, in der er immer
wieder die Lücke zum Torschuss er-
spähte.
Wäre der bis jetzt erfolgreichste Tor-
schütze der Bundesliga und National-
elf auch heutzutage ein verlässlicher
Torelieferant? Fast alle Fachleute
sagen: ja. Müller nämlich war ein
Unikat, der sich jeder Katalogisierung
entzog und aus der damals üblichen
Manndeckung immer wieder heraus-
wand, um den Ball ins Netz zu spit-
zeln – und ein Fußballspieler dazu,
der die Kunst des Doppelpasses mit
Koryphäen wie Franz Beckenbauer
oder Günter Netzer beherrschte
und so wie auf unsichtbaren Rasen­
schienen zum Abschluss kam.
Ihm zuliebe zog sich seinerzeit
bei der Weltmeisterschaft 1970 in
Mexiko sogar der zweite legendäre
deutsche Angreifer mit Heldenstatus
ins vordere Mittelfeld zurück: Uwe
Seeler, groß geworden als klas­
sischer Strafraumstürmer des Ham-
burger SV, der für seine Tore in der
Oberliga Nord und später in der
Bundesliga (404 in 476 Spielen) hin-
gebungsvoll ackerte und kämpfte,
der keinen Zweikampf scheute und,
obwohl nur 1,68 Meter lang, reichlich
Kopfballtore, manchmal sogar ein
Hinterkopfballtor wie beim 3:2-Erfolg
nach Verlängerung über England
im WM-Viertelfinale 1970, erzielte.
Bei diesem Turnier war die Achse
Seeler – Müller ein Prunkstück der
deutschen Mannschaft, die am Ende
WM-Dritte wurde.
Zur richtigen Zeit
am richtigen Ort
DER ALLERBESTE: GERD MÜLLER
ERZIELT AUF SEINE TYPISCHE ART
DAS TOR ZUM WM-TITEL 1974.
1...,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13 15,16,17,18,19,20,21,22,23,24,...44