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AKTUELL IM RÜCKBLICK
DIE DDR-AUSWAHL UND DIE EM
Dörner, Streich, Kirsten und René Müller über die zwei bittersten EM-Anläufe der DDR-Auswahl
Leipzig, im November 1979. Unge-
wohnte Aussichten locken die An-
hänger ins ausverkaufte Zentral
stadion: Für die DDR-Auswahl gibt es
gegen die Niederlande ein unerwar-
tetes Endspiel um die EM-Tickets!
Der Vize-Weltmeister von 1974 und
1978 hat gepatzt. „Oranje“ hatte ge-
gen Polen in zwei Spielen nur einen
einzigen Punkt geholt, die DDR aber
deren drei, und so winkt der Busch-
ner-Elf plötzlich die Endrunde im
Sommer 1980 in Bella Italia! Die
Voraussetzung: ein Sieg gegen den
hohen Favoriten! Der zudem große
Sorgen hat, weil gleich sechs Stamm-
kräfte fehlen. Sogar „König Johan“
(Cruyff hatte 1977 zuletzt in der
Elftal gespielt) bietet Bondscoach
Jan Zwartkruis seine Mitwirkung an.
Vergessen ist das 0:3 beim Hinspiel in
Rotterdam. So gut wie vergessen
auch, dass da noch Lutz Eigendorf im
DDR-Trikot spielte, der in der Zwi-
schenzeit in den Westen geflohen
war. Nach 33 Minuten kocht die
Stimmung in der mit 92.000 Zu-
schauern voll besetzten Riesen-
schüssel. Strafstoß für eine wie
entfesselt aufspielende DDR-Elf, die
durch einen Treffer von Rüdiger
Schnuphase früh in Führung gegan-
gen war! Die Gäste bestürmen
Schiedsrichter Da Silva Garrido. Doch
das Foul von Krol am durchgebro
chenen Häfner war eindeutig.
Ein Fall für Joachim Streich – mit 55
Länderspieltoren bis heute in der
deutschen Länderspiel-Historie nur
von Miroslav Klose und Gerd Müller
übertroffen. Und auf Streich ist Ver-
lass: Kurzer Anlauf, Torhüter ver
laden, Elfmeter versenkt – Italien,
wir kommen! Eine Welle der Euphorie
rauscht über die wogenden Ränge.
Der damalige Schütze zum 2:0 er
innert sich heute noch gut: „Bis zu
diesem Zeitpunkt war es eines unse-
rer besten Länderspiele überhaupt.“
Und Holland? In Not. Nur noch
wenige Minuten sind in der ersten
Halbzeit auf der Uhr. Plötzlich Pfiffe.
Im Strafraum der DDR bleibt ein
Akteur liegen. Als der Schiedsrichter
endlich unterbricht, eilt sein Linien-
richter zu ihm. Der Portugiese hört
den Landsmann kurz an und zückt
entschlossen Rot. Einmal für Gäste-
Stürmer La Ling, der direkt neben
ihm steht, und dann noch einmal.
Für den Spieler, der immer noch im
Strafraum liegt.
Es ist Konrad Weise, von einer Platz-
wunde gezeichnet und Blut über-
strömt. Über das vorzeitige Ende
seines 80. Länderspiels schüttelt
der Thüringer noch heute den Kopf:
„La Ling verpasst mir im Vorbeigehen
So nah dran –
und nicht dabei
Die Teilnahme an einer Europameisterschaft blieb erstklassigen DDR-Nationalspielern wie
Hans-Jürgen Dörner und Joachim Streich oder René Müller und Ulf Kirsten versagt.
Dabei stand das Tor zu einer EM-Endrunde, 1980 in Italien und 1988 in Deutschland, zweimal
sperrangelweit offen: 1979 mit einem sprichwörtlichen Endspiel gegen die Niederlande und
1987 beim Duell mit der Sowjetunion um den Gruppensieg. In beiden Fällen ging die DDR in
Führung – zweimal konnten sie diese nicht behaupten. Aus ganz unterschiedlichen Gründen,
wie sich damals Beteiligte erinnern.