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CDN - MAG A Z I N 3 0 | 2 017

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Hurst schießt, der Ball knallt an die

deutsche Latte – und nach unten. Vor,

auf, hinter die Linie? Der Schweizer

Schiedsrichter Gottfried Dienst weiß es

nicht. Sein Linienrichter Tofik Bakhra-

mov, dieser Schnauzbart aus Baku, weiß

es auch nicht, bläst sich aber plötzlich

auf und brüllt: „Is gol, gol, gol!“

So ist „Uns Uwe“ der große Seeler nie

Weltmeister geworden. Stattdessen

haben sie diesem Fahnenwedler aus

dem kleinen Aserbaidschan daheim ein

Denkmal gebaut vor dem Stadion, das

jetzt „Tofik-Bakhramov-Stadion“ heißt.

Inzwischen machen die Aserbaidscha-

ner die Welt nicht mehr nur mit Schieds-

richtern unsicher, sie treten auch nach

dem Ball, man spürt die jahrelange Ent-

wicklungshilfe durch Berti Vogts. Unser

Ex-Bundestrainer kam seinerzeit mit

seinen Co-Trainern Uli Stein und Olaf

Janßen nach Baku, deutete bei der

ersten Mannschaftsbesprechung auf ein

rundes Ding und verriet seinen staunen-

den Kickern: „Das ist der Ball.“

Seitdem gelten die Aserbaidschaner als

sperriger Gegner. Die deutsche Bilanz

gegen sie bleibt zwar auch nach dem

jüngsten 4:1-Sieg lupenrein, aber bei

allen vorhergehenden WM- und EM-

Qualifikationsduellen (4:0, 2:0, 3:1, 6:1)

haben sich die vermeintlichen Zwerge

Aserbaidschaner können an ihren auf-

müpfigen Tagen nämlich unheilvoll

sein, fragen Sie unsere traurigen Wem­

bley-Helden von 1966. Die sind damals

böse überrascht worden von so einem

Namenlosen aus Baku. Bis zu jenem

WM-Finale kannte den kein Mensch.

Das aber hat sich in der verfluchten

101. Minute der Verlängerung schlag­

artig geändert: Der Engländer Geoff

Dem früheren Nationalstürmer Dieter

Eckstein ist beim 1. FC Nürnberg, wo

seinerzeit nacheinander drei zirka eins-

fünfundsechzig große Präsidenten

regierten, der denkwürdige Satz ent­

fahren: „Die Kleinen mit den hohen Ab-

sätzen sind gefährlich.“

Diese Warnung fällt uns spontan wieder

ein, weil die Qualifikation für die WM

2018 jetzt in ihre entscheidende Phase

geht. Und scharenweise schrauben sich

auch da die Kleinen die hohen Stollen

unter die Stiefel, um die Großen stol-

pern zu lassen – soeben hat es auch

Aserbaidschan gegen unsere Welt­

meister versucht, zwar erfolglos, aber

immerhin ehrgeizig.

So ein Spiel ist für einen Favoriten nicht

dankbar. Die Mannschaft vom Kaspi-

schen Meer steht hinter Gabun auf Platz

89 der FIFA-Weltrangliste, hauchdünn

vor Antigua & Barbuda – gegen eine

solche Jux-Truppe, denken da sofort

viele, stehst du nachts um drei auf, fegst

sie ungekämmt, unrasiert und mit

ungeputzten Zähnen geschwind zwei­

stellig weg, und dann schnell wieder

ab ins Bett.

Genau darin liegt die Gefahr – und des-

halb hat der Bundestrainer seine Männer

in Baku mit dem Rat ins Spiel geschickt:

„Högscht konzentriert!“

In Baku stellte sich Ende März die Frage: Muss man als

Weltmeister einen Gegner wie Aserbaidschan ernst nehmen?

Sicherheitshalber ja. Denn kleine Aufmüpfige haben uns in

WM- und EM-Qualifikationen oft schon erstaunliche Gefühle

beschert, von A bis Z: Angst vor Albanien, Furcht vor den

Färöern, Leiden gegen Luxemburg, Muffe vor Malta, Zittern

vor Zypern. Der Sport-Feuilletonist OSK AR BECK hat es

miterlebt und beschreibt so manches Stolpern eines Favoriten,

wenn sich die scheinbaren Kleinen die hohen Stollen unter

ihre Fußballstiefel schrauben.

Erlösender Gewaltakt: Der Kölner Gerd Strack köpft kurz vor Schluss das 2:1 gegen

Albanien und sichert Deutschland die Teilnahme an der EURO 1984.