A K T U E L L I M B L I C K P UNK T
CDN - MAG A Z I N 3 0 | 2 017
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gemurkst hätte, wäre Bundestrainer
Helmut Schön womöglich wirklich vom
Hof gejagt und später nie Welt- und
Europameister geworden.
Das Rückspiel in Essen verlief dann
standesgemäßer: 12:0, dank viermal
Müller, dreimal Overath, zweimal Haller
sowie Siggi Held und Max Lorenz – so-
gar Horst-Dieter Höttges traf, der sich
seinen Spitznamen „Eisenfuß“ normaler
weise nur in der Abwehr verdiente.
Immer wieder war es so: Zuhause waren
die Zwerge zäh. In der EM-Qualifikation
musste 1974 beim 1:0 auf Malta ein
Kraftakt des Kölners Bernd Cullmann
her, beim Rückspiel (8:0) bekamen
die Mittelmeer-Insulaner dann aber
von Beer (2), Worm (2), Heynckes (2),
Hölzenbein und Vogts die Hucke voll.
Sechs Jahre später dasselbe: Beim 8:0 in
Bremen ballerten Fischer (2), Allofs (2),
Rummenigge, Kelsch und Bonhof den
Maltesern dermaßen die Tore um die
Ohren, dass die in ihrer Verwirrung
selbst noch eins schossen – nach einem
0:0 (!) im Hinspiel.
Jupp Derwall war der nächste Bundes-
trainer, und verwöhnt durch ein neuer
liches 8:0 anno 1981 gegen Albanien in
der WM-Qualifikation (Tore: Rumme-
nigge 3, Fischer 2, Kaltz, Breitner, Litt-
der Fußball nur eine geduldete Minder-
heitensportart ist, schämte sich das
Boulevardblatt „Blick“: „Peinlich.“
Ruhig Blut, liebe Schweizer. Nur weil
sich Pyrenäen auf Pygmäen reimt, sind
die Andorraner noch lange kein klein-
wüchsiges Bergvolk – sondern gehören
zu den tückischen Gegnern, die sich im
Rahmen des Zwergen-Aufstands vor
dem Spiel demütig Autogramme holen
und danach dafür sorgen, dass der Fa-
vorit bei der Heimkehr mit Tomaten und
fauligen Eiern beworfen wird. Und viele
Albträume beginnen mit „A“. A wie
Andorra. A wie Aserbaidschan. A wie
Albanien.
Unvergessen: die EM-Blamage
von Tirana 1967
Wir Deutschen vergessen nie unsere
Tränen von Tirana, vergossen anno
1967. Albanien galt damals, anders als
heute, noch als fußballerisch unterer-
nährt, und das 0:0 war eine Blamage,
die uns dummerweise die EM-Endrunde
kostete. „Lasst doch mal den Merkel
ran“, fauchte „Bild“, empfahl den gerade
als Meistermacher in Nürnberg tätigen
Max Merkel. Und wenn kurz danach in
der WM-Qualifikation gegen Zypern in
Nikosia nicht Gerd („Bomber“) Müller
in der 94. Minute noch das 1:0 rein
aus Baku teurer gegen uns verkauft
als beispielsweise die brasilianischen
Riesen beim 1:7 in Belo Horizonte.
Womit wir zum Thema kommen: Man
kann im globalisierten Fußball keinen
Gegner mehr im Vorbeigehen in der
Pfeife rauchen. Selbst die kleinsten
Teams besitzen Spieler, die in den gro-
ßen europäischen Ligen ihr Handwerk
lernen, alle sind in die Geheimnisse des
Spiels eingeführt. Sogar die Hintere
Mandschurei versucht sich mittlerweile
im Pressing und weiß, was ein Laktat-
test ist und eine Schwalbe im Straf-
raum. Kurz: Es gibt keine Hinterwäldler
mehr, die WM-Qualifikation steckt vol-
ler Stolpersteine.
Fragen Sie die Schweizer. Da schlagen
sie zum Qualifikations-Start die portu-
giesischen Europameister, und was
folgt? Ein knüppelhartes und knappes
2:1 gegen Andorra. Das Kleinfürsten-
tum stand zu der Zeit in der FIFA-
Weltrangliste gemeinsam mit den Briti-
schen Jungferninseln auf Platz 203.
Darf es sein, dass ein Topteam gegen
eine solche Thekentruppe, deren
Chance geringer erscheint als die einer
Sau beim Metzger, nur mit Zähneklap-
pern die Schlussminute übersteht? Als
auch noch herauskam, dass in Andorra
der Nationalsport Rollhockey heißt und
Wortwechsel zum „Wembley-Tor“:
Schiedsrichter Gottfried Dienst entschei-
det nach Rücksprache mit Linienrichter
Tofik Bakhramov auf Tor und macht
England zum Weltmeister 1966.