WA S MACH T E I G E N T L I CH . . . ?
CDN - MAG A Z I N 3 0 | 2 017
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Chile. „Die Chilenen haben wir deklas-
siert, ich denke, wir hätten auch bei der
WM-Endrunde keine schlechte Rolle
gespielt“, ist sich Nöldner noch heute
sicher.
Heute, da „Kuppe“ in seinem Kiez im
Berliner Stadtteil Lichtenberg in aller
Ruhe auf eine großartige Karriere zu-
rückblickt. In einem bewegten Leben,
das für ihn unter furchtbaren Bedingun-
gen begann. Seinen Vater hatte er nie
richtig kennengelernt, weil dieser –
Jürgen war gerade drei Jahre alt – 1944
als Widerstandskämpfer von den Nazis
durch das Fallbeil im Zuchthaus hinge-
richtet worden war.
Dennoch war und bleibt Erwin Nöldner
für den Sohn bis heute allgegenwärtig.
Allein schon deswegen, weil in Berlin-
Lichtenberg ein Platz, eine Straße und
eine S-Bahn-Station nach Nöldner be-
nannt sind. Dort erinnert unter mehre-
ren Statuen von Widerstandskämpfern
ein Standbild auch an Erwin Nöldner,
der dort mit Stolz und Freude auf seinen
Filius, den „Fritz Walter des Ostens“,
herunterblicken kann.
übrigens ein waschechter Sachse. Ent-
sprechend inspiriert traf Nöldner am
nächsten Tag im Praterstadion zum 1:1.
Dieses Resultat weckte Hoffnungen auf
die erstmalige WM-Teilnahme der DDR-
Kicker. Im Rückspiel gelang Nöldner
zudem ein Rekord für die Ewigkeit. In
Leipzig netzte er vor 95.000 Zuschauern
nach nicht einmal 60 Sekunden ein.
Das Tor des Tages gilt als schnellstes in
der DDR-Länderspiel-Geschichte. Von
„Kuppe“, dem angeblichen Phlegmatiker,
hellwach und ruck-zuck erzielt!
Ihren WM-Traum begraben muss die
DDR schließlich in Budapest. Dabei
steht es knapp zwanzig Minuten vor
dem Ende 2:2. Nur ein Tor noch und die
DDR wäre für die Weltmeisterschaft in
England qualifiziert! Doch das entschei-
dende 3:2 gelingt den Ungarn, sie sind
an diesem Tag einfach die glücklichere
Mannschaft. „Kuppe“ und seinen Kum-
pels bleibt der (schwache) Trost, mit
der Elite mithalten zu können. Unterstri-
chen wird das im Frühjahr durch ein 4:1
gegen Schweden und im Sommer 1966
durch ein 5:2 gegen WM-Teilnehmer
ser Vergleich: „Ein linkes Bein ist besser
als zwei schwache rechte.“
Vor der WM 2010 treffen wir uns in Ber-
lin. „Komm einfach vorbei, wir treffen
uns bei der Hertha“, hatte er am Telefon
gesagt. „Kuppe“ ist inzwischen Rentner,
aber noch immer Stammgast im Olym-
piastadion. Unser Gesprächsthema ist
die Fußball-Einheit, die mittlerweile
20 Jahre zurückliegt und in einem DFB-
Buch („Spiel ohne Grenze“) gewürdigt
werden soll. Jürgen erzählt von seiner
Kindheit und Jugend in der geteilten
Stadt. Natürlich sei auch er ein großer
Western-Fan gewesen, John Wayne sein
Held. Über Nacht war dann alles anders,
als 1961 plötzlich die Mauer stand.
Direkt hinter dem „Walter-Ulbricht-Sta-
dion“, wo Nöldner bei großen Spielen mit
Vorwärts auflief, war der Osten zu Ende.
Die Trennlinie zum Westen, unüber-
brückbar war sie für die meisten. Immer-
hin durfte „Kuppe“ reisen. Zum Beispiel
nach Tokio zu Olympia 1964, dem ganz
großen Highlight seiner Karriere. Dort
adelte ihn die „Bild“-Zeitung, die täglich
aus der Bundesrepublik nach Japan ge-
flogen und im Olympia-Dorf ausgelie-
fert wurde, auf dem Weg zur Bronze
medaille mit einer dicken Überschrift
zum „Fritz Walter des Ostens“.
Oder die Reise 1965 mit dem DDR-Nationalteam nach Österreich. Mit ei-
nem Kinobesuch sorgten er und seine
Auswahlkameraden in den Wiener Ga-
zetten für dicke Schlagzeilen. Ange-
lockt wurden sie von „Goldfinger“, dem
neuen James-Bond-Filmmit Gert Fröbe,
S T ECKB R I E F
J ÜRGEN NÖLDNE R
* 22. Februar 1941
Position
Mittelfeld
Vereine als Aktiver
Sparta Lichtenberg
BEWAG/Turbine Berlin
ASK/FC Vorwärts Berlin
FC Vorwärts Frankfurt/Oder
Nationalmannschaft
30 A-Länderspiele (1960–1969)
Alles mit links: Die DDR gewinnt beim Olympischen Fußball-Turnier 1964
die Bronzemedaille mit Jürgen Nöldner.