A K T U E L L I M B L I C K P UNK T
CDN - MAG A Z I N 3 0 | 2 017
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Märchenschiff“ und erinnerte sich noch
oft und gern an die ihm schier paradie-
sisch erscheinende Verpflegung.
Herberger war angenehm geschockt:
„Mein Gott, bei uns war doch vieles
noch gar nicht wieder zu haben, alles
war doch knapp.“ Der Krieg war noch
keine zwei Jahre zu Ende, der Vertrag
von Versailles zwang Deutschland als
Kriegsschuldigen zu großen Repara
tionsleistungen, der einfache Mann
musste sich stark einschränken. Harte
Zeiten.
Mit Seilhüpfen hielten sich die Spieler
während der zweitägigen Überfahrt fit.
Dermaßen vorbereitet, gab Herberger
ein prächtiges Debüt im DFB-Dress.
Vor 6.000 Zuschauern in Helsingfors
(später Helsinki) startete die deutsche
Elf furios. Im „Fußball“ hieß es: „Schon
in der 5. Minute lag Deutschland in
Führung. In glänzendem Durchspiel
trieben er und Kalb den Ball ins Netz.
Zwei Minuten später wiederholte sich
die gleiche Übung, nur war Kalb jetzt
der glückliche Schütze.“ Weil sich der
deutsche Torwart Schwedler einen
Finger verstauchte, war er nicht mehr
voll einsatzfähig und ließ zwei Treffer
zu, die nicht in die Kategorie „unhaltbar“
fielen. Herberger kritisierte hinterher,
dass der DFB keinen zweiten Torwart
nominiert hatte; ein Wechsel wäre in
dem Falle erlaubt gewesen.
In der 75. Minute stellte er erneut die
Weichen auf Sieg und erzielte das 3:2,
wieder auf Vorlage des Nürnbergers
Hans Kalb. „Stille, Beifall der Deut-
schen“, notierte der „Fußball“-Reporter.
Es fiel dann noch der Ausgleich, wieder
ließ Schwedler einen Ball durch die
geschwollenen Hände. Die Finnland-
Premiere endete mit einem Unentschie-
den, doch Sepp Herberger zählte zu den
Gewinnern. Die finnische Zeitung
Idrotts Blatten-Helsingfors lobte
Herberger ausdrücklich als „schnell und
sicher im Schuss“. Und Herberger no-
tierte: „Ich hatte einen großen und
durchschlagenden Einstand.“
Er stand am Anfang einer vielverspre-
chenden Karriere und DFB-Vizeprä
sident Felix Linnemann lobte ihn auf
der Rückfahrt, er habe „einen großen
Eindruck“ gemacht. Als er ihn dann
noch in den Arm nahm und ihm eine
Sein Können blieb nicht unbemerkt, mit
dem „Drei-H-Sturm“ aus der „Waldhof-
Schule“ lief er im Juni 1921 in der
Süddeutschen Auswahl auf, die nach
dem Ersten Weltkrieg eigentlich Spielern
aus Nürnberg und Fürth vorbehalten war.
Und dann kam sie endlich, die erste Ein-
ladung vom DFB. Herberger wurde für
das erste deutsche Länderspiel gegen
Finnland nominiert und mit ihm der
ganze H-Sturm. Nun hatte für Herberger
„das Auf und Ab der frohen Erwartun-
gen und enttäuschten Hoffnungen
während der Wartezeit“ ein Ende.
Seine erste große Auslandsreise erfolg-
te mit einem 3.000-Tonnen-Dampfer,
der SS Ariadne, der in Bremerhaven ab-
legte. Herberger wähnte sich auf „einem
Er war ein echter Dribbelkünstler, wes-
halb sie den nur 164 Zentimeter langen,
drahtigen Burschen „Fuddler“ nannten.
Seine Position: Halblinker. Sepp Her
berger charakterisierte sich in seinen
Notizen als Spielertyp in aller Beschei-
denheit und der damaligen Rechtschrei-
bung entsprechend so: „Wenn ich sage,
daß ich ein guter Spieler, Spielmacher
und auch Torschütze war, dann weiss
ich, dass dies Urteil auf Eigenerlebnis
ausgeht und man in Mannheim und dort
wo man mich gesehen hat, dies mein
Urteil gerne bestätigen wird. Von der
Art Begabung her, war ich ein reiner
Spielertyp, Balltechnik perfekt, quirlig
am Ort und hurtig und spurtschnell,
den kommenden Dingen im Spiel stets
voraus den Spielverlauf vorausschauend
und oft auch massgebend bestimmend.“
Verabschiedung als Bundestrainer 1964 in Hannover: Sepp Herberger mit der
WM-Trophäe, die er zehn Jahre zuvor mit der Nationalmannschaft gewann.