WA S MACH T E I G E N T L I CH . . . ?
CDN - MAG A Z I N 3 0 | 2 017
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Wer im Februar, wie „Kuppe“ auch dies-
mal wieder, Urlaub in Dierhagen bucht,
zählt nicht unbedingt zu den Sonnenan-
betern. Nöldner mag die Ostsee zu allen
Jahreszeiten. Vielleicht liegt es daran,
dass der Ur-Berliner sein erstes Länder-
spieltor einst im Ostseestadion erzielte.
ImHerbst 1960 war das, beim 5:1-Erfolg
der DDR-Auswahl über Finnland. In
Rostock schoss Nöldner auch mal seine
Vorwärts-Elf mit zwei Treffern zur Meis-
terschaft. Im Juni 1962 trug sich dies zu
und geschah mit Ansage. Vorwärts
Berlin war mit einem Punkt Vorsprung
zur entscheidenden Partie zum Tabel-
lenzweiten gefahren. Am besten kann
diese Geschichte aber Jürgen Nöldner
selbst erzählen:
„Unser Torwart Karl-Heinz Spickenagel
hatte Bedenken, ob wir dem Druck
standhalten würden. Schließlich hatten
die Rostocker monatelang die Tabelle
angeführt, das Stadion war ausverkauft.
Als sich auch noch Auswahlverteidiger
Peter Kalinke beim Abschlusstraining
verletzte, wuchs die Unruhe bei unse-
rem Keeper.“ Und so versprach ihm
Nöldner: „Spicke, mach Dir keinen
Kopp, in der 12. und in der 72. Minute
haue ich denen zwei rein!“ Spickenagel
willigte ein: „Na gut, für jedes Tor ’ne
Flasche Sekt!“
Zwischen „Genie und Phlegma“ wurde
Jürgen Nöldner stets bescheinigt.
Gegen Phlegma sprechen freilich vor
allem seine statistischen Abschluss-
Werte, die sich bis heute sehen lassen
können. Stolze 16 Tore in 30 Länder-
spielen und stattliche 88 Treffer in 285
Erstliga-Spielen!
Jürgen Nöldner gehörte in den 60er-
Jahren zu den technisch Hochbegabten
im Ostfußball, mit einem linken Fuß der
Extraklasse. „Kuppe“, ein typisch Berliner
Spitzname und sein fußballerisches
Gütesiegel, gewann bei Olympia 1964
in Tokio mit der DDR-Auswahl Bronze,
mit Vorwärts Berlin fünfmal die Meister-
schaft, wurde einmal Pokalsieger, 1966
zum „Fußballer des Jahres“ und 1989 in
die All-Star-Elf der besten Fußballer der
DDR-Oberliga-Historie gewählt. Beglei-
tet wurde seine Karriere allerdings von
der Kritik, er würde nicht schnell genug
und viel zu wenig laufen. Auch sei sein
Kopfballspiel ausbaufähig.
Jürgen Nöldner hat nicht nur Herz,
sondern auch Schnauze. Kostprobe
gefällig? „Das mit der Schnelligkeit war
ein Witz, was Rainer Nachtigall – er war
ja das Sprint-Ass bei uns – gern bestä
tigen wird. Ich war so schnell wie er.
Nicht gelaufen bin ich nur zu aussichts-
losen Bällen. So, wie die Alibifußballer
es gerne tun.“ Und wieselflink schiebt
Nöldner hinterher: „Ich habe oft erklä-
ren müssen, das Spiel, dass ich spiele,
heißt Fußball und nicht Kopfball!“
WAS MACHT E I GENT L I CH . . . J ÜRGEN NÖL DNE R ?
I M J OURNA L I S T I S CHEN RUHE S TAND B L I CK T DE R „ F R I T Z WA LT E R DE S OS T ENS “
AU F E I NE KARR I E R E VOL L E R E R FOLGE ZURÜCK .
„ KUP P E “ UND S E I NE
B R I L L ANZ M I T L I NKS
Hochbegabt und ohne
den von den Nazis hin
gerichteten Vater auf
gewachsen, avancierte
Jürgen Nöldner in den
60er-Jahren zu einem
Aushängeschild des
DDR-Fußballs. Auf dem
Weg zum Gewinn der
Bronzemedaille 1964 in
Tokio bezeichnete die
bundesdeutsche „Bild“
den brillanten Linksfuß als
„Fritz Walter des Ostens“.
UWE KARTE über einen
Filigrantechniker und
Torjäger, dessen Familien-
name im Berliner Stadtteil
Lichtenberg an etlichen
Stellen verewigt ist.
Jürgen Nöldner zieht ab:
Der Linksfuß trifft im Sommer
1966 beim 5:2 gegen Chile.