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AKTUELLER RÜCKBLICK
LÄNDERSPIELREISEN ZUM JAHRESENDE
Jogi Löws Weltmeister feiern in Ruhe Weihnachten. Das war früher anders: Ehe die deutschen
Nationalspieler „Oh Tannenbaum“ singen durften, ging es oft genug auf Weltreise – vor den
Heiligabend hatten der Herrgott und die reiselustigen DFB-Cheftrainer den Schweiß gesetzt.
Oder auch mal den Angstschweiß, unter dem Motto „Pleiten, Pech und Palmen“. Unser Autor
OSKAR BECK war oft genug dabei und berichtet von den Extratouren um den Globus zur
Advents- und Neujahrszeit.
Fernweh und Reiselust der Trainer machten viele Nationalspieler zu weihnachtlichen Weltenbummlern
Das Schönste an Weihnachten sind
die Christbäume. Wo aber steht der
tollste Weihnachtsbaum der Welt?
Man sollte die befragen, die es wirk-
lich wissen, zum Beispiel Günter
Netzer. „In Santiago“, würde der Ex-
King vom Bökelberg womöglich sa-
gen. „Unsinn, den schönsten hat
Montevideo“, könnte ihm Toni Schu-
macher entgegnen. „Die Kerzenkette
in Kairo war aber auch nicht von
schlechten Eltern“, hören wir in Ge-
danken Hans Tilkowski und Karl-
Heinz Schnellinger mit der Zunge
schnalzen. Sie müssten freilich
sofort mit dem Konter von Schweini
und Poldi rechnen („Der Baum in
Bangkok war ein Traum“). Willi Schulz
könnte den Tannenbaum in Rio loben
und Jürgen Kohler und Thomas
Helmer von denen in Buenos Aires
beziehungsweise Johannesburg
schwärmen.
Und wenn man Heiner Stuhlfauth
noch befragen könnte, würde der
Nürnberger Torwart antworten:
„Ihr müsstet erst mal den Christ-
baum in Mailand gesehen haben.“
Das war 1923.
Wer deutscher Nationalspieler war,
kennt alle Bäume der Welt mitsamt
Adventskerzen, Glaskugeln und
Rauschgoldengeln, keine Tannenart
Lateinamerikas ist ihm fremd. Denn
jahrzehntelang galt für die DFB-Stars
die Devise: Vor Heiligabend hat der
Herrgott den Schweiß gesetzt. Aben-
teuerliche Länderspielreisen waren
das, die sich im Nachhinein anhören
wie Märchen aus Tausendundeiner
Nacht. Jogi Löws Weltmeister wür-
den dem Bundestrainer den Puls füh-
len, wenn er sie vor dem Frohen Fest
noch schnell zu einer Weltreise in die
USA und Mexiko entführen würde.
Berti Vogts durfte das noch. Seine
Männer folgten ihm widerspruchslos,
als er sich seinen Kosenamen „Kos-
mopolit von Korschenbroich“ ver-
diente. Die Adventstortur im De
zember 1993 – Breakfast in Miami,
Lunch in San Francisco, Dinner in
Mexico City – ging ins Guinness-Buch
der Rekorde ein, denn für drei Spiele
binnen zehn Tagen flog der Bundes-
trainer seine Kicker 25.000 Kilometer
durch die Welt. Hart an der Schall-
mauer durchbrachen sie täglich neue
Klima- und Zeitzonen und bestanden
den Bettentest in diversen Nobel
herbergen.
Im Aztekenstadion war zwei Tage
vor Heiligabend das letzte Spiel.
Zügig und gestresst ging es nach
dem 0:0 zum Flugplatz, der Pilot gab
Gas, damit keiner daheim das Weih-
nachtsfest verpasste, und beim Inter-
view während des Heimflugs lachte
Vogts mich glücklich an: „Wir haben
wichtige Erfahrungen gemacht. In
Mexico City zum Beispiel ging es um
den Willen, dieses Spiel nicht zu
verlieren. Die Hitze, die Höhe, 2.400
Meter, da muss man dagegenhalten.“
„Oh du Fröhliche“