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AKTUELL IM BLICKPUNKT
COMEBACK IN LATEINAMERIKA
Deutschlands Fußballer haben 1962, 1970, 1978 und 1986 bei ihren WM-Turnieren in Süd- und
Mittelamerika alles erlebt. Licht und Schatten und Hitze und Höhe. Dramatische Ereignisse und
überbordendes südländisches Temperament. Strapazen, Stimmungsabstürze und unvergessliche
Sternstunden. Aber wenn man die Dinge richtig betrachtet, kann man für Brasilien 2014 durchaus
zuversichtlich sein. Ein Rück- und Ausblick von Oskar Beck, gespickt mit ganz persönlichen
Erfahrungen und relevanten Anmerkungen des vielfach preisgekrönten Sportfeuilletonisten.
Zwischen Herzschlag
und Hitzschlag –
aller guten Dinge sind fünf
Nach vier Endrunden in Lateinamerika erwartet die DFB-Auswahl ein weiterer „heißer“ WM-Sommer
Fußball ist eine Wissenschaft. Der
große Guru Dettmar Cramer hat sogar
einmal ausrechnen lassen, wie hoch ein
Ball in den Strafraum fliegen muss,
damit Schnee auf ihm liegen bleibt.
Wissen ist Macht. Und der Mensch
will immer mehr wissen, und das
immer schneller – beispielsweise will
er dieses Jahr nicht erst im Finale in
Rio erfahren, wer Weltmeister wird,
sondern schon jetzt.
Deshalb gibt es Statistiker. Die
stützen sich bei der Suche nach der
Wahrheit nicht auf die reine Kaffee-
satz-Leserei, sondern auf ein kunter-
buntes Gemisch aus unübersicht­
lichen Zahlen, undurchschaubaren
Tabellen und unumstößlichen archi-
varischen Funden. Der Ballbesitz
wird mit der Eckballquote aus frü­
heren Turnieren verglichen, die
Meereshöhe mit dem Luftdruck des
Balles und dem prozentualen Risiko
des Lagerkollers addiert; dann wird
noch ein Mittelwert aus dem Alter
des Torwarts und der durchschnitt­
lichen Juni-Temperatur im brasiliani-
schen Regenwald ermittelt und mit
den Vornamen der Spielerfrauen
multipliziert – und wenn die Statis­
tiker das alles am Ende mit dem
früheren deutschen Abschneiden in
Lateinamerika dividieren, kommen
sie zu dem Ergebnis: Wir werden
2014 nicht Weltmeister.
Zwei Jahrhundertspiele
in größter Gluthitze
Was natürlich Humbug ist. Vor lauter
Bäumen sehen die Statistiker den
Wald nicht mehr und missachten
die wahren Fakten: Bei den vier
WM-Teilnahmen in Süd- und Mittel-
amerika – 1962, 1970, 1978, 1986 –
wurden wir Deutschen einmal Vize-
weltmeister und einmal Dritter,
und in der größten Gluthitze und
dünnsten Luft haben wir zwei Jahr-
hundertspiele binnen drei Tagen
hingelegt. Es gibt also nicht den
geringsten Grund, mit fragwürdigen
Statistiken sogar Frohnaturen wie
Reiner Calmund verrückt zu ma-
chen, der sich unlängst panisch-depressiv so zitieren ließ: „Die
Chance ist 20 bis 25 Prozent. Wer
an mehr glaubt, dem kann man
eine Dämlichkeitsplakette mit fünf
Brillanten verleihen.“
HELFENDE HÄNDE BEI BRÜTENDER
HITZE: HELMUT SCHÖN UND
HANNES LÖHR 1970 IN MEXIKO.
TROPISCHES KLIMA AUCH
BEI DER WM 2014 IN BRASILIEN!
1,2,3,4,5,6,7,8 10,11,12,13,14,15,16,17,18,19,...44