CdN Newsletter 22 - page 14

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ERFOLGSSTORY
DEUTSCHLANDS NATIONALTORHÜTER
Bei den großen WM- und EM-Turnieren standen nie Nachtwächter zwischen den DFB-Pfosten,
sondern oft genug wahre Teufelskerle als Torwächter. Ihre Heldentaten, mit denen sie nicht
zuletzt als Elfmetertöter ihre Kontrahenten peinigten, wurden besungen, und selbst die
allerbesten gegnerischen Stürmer wachen noch heute mitten in der Nacht schweißgebadet
auf. Zum Beispiel wenn sie an Manuel Neuer denken. Er ist der kompletteste Fußballer der
Welt, weil er als Feldspieler weitaus besser ist, als es Ronaldo und Messi, die Weltfußballer
der vergangenen Jahre, als Torhüter wären.
Manuel Neuer oder: großartige Torhüter als Basis für große deutsche Turniererfolge
Wir Menschen sind krankhaft neu­
gierig. Ständig zermartern wir uns
das Hirn über der Frage, wer unsere
Besten sind. Wir fangen an mit den
zehn Besten. Danach wird geklärt:
Wer sind die drei Besten unter den
Besten? Und abschließend gibt es
dann noch den Rat der Unersätt­
lichen unter den Wissensdurstigen, die
sich die Köpfe einschlagen über der
alles entscheidenden Geschmacks-
frage: Wer ist der Allerbeste?
Picasso oder van Gogh?
Mozart oder Beethoven?
Pele oder Maradona?
Es ist leichter, einem Hamster das
Rhönradfahren beizubringen, als eine
Antwort auf solche Fragen zu finden.
Schmecken Äpfel besser als Birnen?
War Daimler klüger als Benz oder
Tünnes dicker als Schäl? Ist Mün-
chen bei Nacht so sexy wie Madrid
und Barcelona am Tag, ist Vollmond
feuchter als Neumond und Papp-
schnee grauer als Pulverschnee?
Den gewagtesten aller Vergleiche
haben wir jedoch zu Beginn dieses
Jahres erlebt. Da wurde in Zürich
der „Goldene Ball“ vergeben, und die
Nationaltrainer und Kapitäne aller
FIFA-Länder haben mit der Stange im
Nebel gestochert, um das unlösbare
Problem zu lösen: Wer ist der beste
Fußballer der Welt – Cristiano Ronal-
do, Lionel Messi oder Manuel Neuer?
Bei engen Wahlen entscheiden oft
Kleinigkeiten, und man hat spontan
an die legendäre US-Präsident-
schaftswahl anno ’60 zurückdenken
müssen, die Richard Nixon gegen
John F. Kennedy hauchdünn verloren
hat, weil er beim TV-Schlagabtausch
seine Frisur vernachlässigte und ein
Loch in der Schuhsohle hatte. Bei
Ronaldo stimmt die Frisur, sie ist
außerdem gut geölt – während Neuer
zwar Weltmeister ist, aber ein Loch in
der Schuhsohle hat: Er spielt auf der
falschen Position.
Ein Torwart kann diese Wahl nicht
gewinnen. Die große, weite Welt be-
vorzugt die Zauberer und Eleganten,
die da vorne hemmungslos dribbeln
nach der Glücksdevise: Die freilau-
fenden Hühner legen die schönsten
Eier. Ein Torwart dagegen wird wahr-
genommen als Gefangener in der
Einzelhaft seiner Zelle, diesem 7,32
Meter breiten und 2,44 hohen Käfig,
und zu allem Übel hat er noch dieses
zweifelhafte Image als Spielverder-
ber und Schreckgespenst – wie in
jenem unvergessenen TV-Werbe-
spot, in dem der Elfmeterschütze, als
er Olli Kahn vor sich sah, mitten im
Anlauf mit schlotternden Beinen
umdrehte und flüchtete.
Oliver Kahn, der Dschingis Khan des
Fußballs. Für seine Gegner war er
zwischen den Pfosten das grausame
Maß aller Dinge. Was er sich bei-
spielsweise bei der WM 2002 als
„Faust Gottes“, „King Kahn“ und
„Titan“ in puncto Robinsonaden und
mirakulösen Reflexen geleistet hat,
überschritt oft die Grenze zur Hexe-
rei, und Deutschland wäre ohne ihn
Perfektion im
Paradies der „Peiniger“
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