CdN Magazin 23 ePaper - page 22

AKTUELL IM BLICKPUNKT
KAPITÄNSWECHSEL IN DER NATIONALMANNSCHAFT
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So entmachtete der Bundestrainer
Berti Vogts als Nachfolger des Team-
chefs Franz Beckenbauer den Welt-
meisterkapitän von 1990, Lothar
Matthäus, den er zur EM 1996 in
England zwischenzeitlich nicht be-
rief und als Spielführer durch Jürgen
Klinsmann auch danach auf Dauer
ersetzte. Ungeachtet, dass der Re-
kordnationalspieler und Weltklasse-
mittelfeldspieler mit 150 Einsätzen
für die DFB-Auswahl, davon 75, auch
das ein Rekord, als Kapitän zu seiner
Zeit ein mitreißender Anführer war,
der in seiner Chefrolle so, wie es
damals üblich war, gelegentliche
Machtkämpfe nicht scheute.
So souverän wie Franz Beckenbauer
war er nicht, der die Weltmeister von
1974 mit kaiserlicher Abgeklärtheit
anführte und deren Vorkämpfer auch
in krisenhaften Momenten wie nach
der 0:1-Niederlage im WM-Gruppen-
spiel gegen die DDR war. Becken­
bauers natürliche Autorität verband
sich mit einem selbstverständlichen
Hochleistungs- und Führungsan-
spruch. Er war der Sache Fußball
zuliebe der unangreifbare Boss, was
immer er in seinem Leben anpackte.
Dass er sich dabei seinen bajuwari-
schen Charme bewahrte, mit dem er
selbst seine gelegentlichen Zornes-
attacken abfederte, machte ihn zu-
dem noch liebenswürdig.
Ganz anders als das Genie aus Gie-
sing führte Fritz Walter die National-
elf an, die 1954 das „Wunder von
Bern“ vollbrachte und den Deut-
schen nach den dunklen Jahren des
Nationalsozialismus und des Zweiten
Weltkriegs den Weltmeistertitel
schenkte. Der Kaiserslauterer Fuß-
ballkünstler war auf dem Platz ein
Spielmacher von hohen Gnaden. Als
Kapitän ordnete er sich wie all seine
Kameraden dem von ihm bewunder-
ten Bundestrainer Sepp Herberger
unter, den er zeit seines Lebens den
„Chef“ nannte.
hören Fairness auf dem Platz und
moralische Integrität bei allen Auf-
tritten jenseits der Stadien. Der Kapi-
tän der Nationalelf spricht nicht mehr
für sich allein und muss seine Worte
auch angesichts der medialen Dauer-
präsenz sorgsam wählen. Dazu kann
es nicht schaden, wenn sich Leader-
ship und fußballerische Extraklasse
miteinander verbinden, so dass der
Mann mit der Binde seinen Kollegen
auch ohne Worte beispielhaft vo­
rangeht. Umso besser, wenn er
dann noch wie Lahm die Diplomatie
besitzt, ausgleichend wirken zu
können – integrierend inmitten der
ethnischen Vielfalt der National-
mannschaft.
Amt des Kapitäns ist
nur auf Zeit verliehen
An die große Glocke sollte der Kapi-
tän seine gelegentlichen Appelle
nicht hängen und es auch mit dem
Eigenlob nicht übertreiben, wenn er
als Anwalt seiner Mannschaft erfolg-
reich Prämien aushandelt oder auf
andere Weise die Interessen der
Spieler wahrt. Hält sich ein Kapitän
nämlich für unentbehrlich oder zu
wichtig, läuft auch er Gefahr, schmerz-
haft an die Endlichkeit des auf Zeit
verliehenen ehrenvollen Auftrags er-
innert zu werden.
Nationalmannschaftskapitän Oliver
Kahn und dessen badischer Lands-
mann Mehmet Scholl, hofft darauf,
das Nationalteam 2016 in Frankreich
zum Europameistertitel führen zu
können. Ganz sicher kann man sich
angesichts seiner Verletzungshisto-
rie aber nicht sein, dass die neue
Nummer eins in der Rangordnung der
Nationalspieler in einem Jahr noch
so ein Bravourstück hinbekommt wie
bei der WM in Brasilien.
Im Notfall müssten ihn dann bei der
EM, die erfolgreiche Qualifikation in
den kommenden Monaten vorausge-
setzt, Kollegen aus dem Spielerrat
wie Manuel Neuer oder Sami Khedira,
vielleicht auch Mats Hummels oder
Thomas Müller vertreten. Wer auch
immer den Stellvertreterpart über-
nähme, täte dies mit demselben
Gemeinsinn und Gruppendenken wie
der leise Chef selbst, der nicht dafür
bekannt ist, seine Eitelkeit an Status-
symbole zu knüpfen.
Was zeichnet also einen guten Kapi-
tän der Nationalmannschaft heute
aus, in einer Zeit, da Ego-Trips in
keiner einzigen guten Bundesliga-
Mannschaft gern gesehen werden?
Er muss, eine zeitlose Grundanforde-
rung, ein sportliches Vorbild seines
Landes und des DFB sein. Dazu ge„MITREISSENDER ANFÜHRER“:
KAPITÄN LOTHAR MATTHÄUS IM
90ER-FINALE GEGEN ARGENTINIEN.
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