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Das hat auch der Nationalmann-
schaftskapitän Bierhoff während der
sportlich völlig missratenen Europa-
meisterschaft 2000 in Belgien und
den Niederlanden versucht. Ohne
großen Erfolg, weil der damalige
Teamchef Erich Ribbeck dem Tor-
schützen des „Golden Goal“ zum
deutschen EM-Triumph 1996 sport-
lich nicht mehr viel zutraute und Bier-
hoffs 2002 berufener Nachfolger
Kahn schon so etwas wie der heim­
liche Kapitän war.
Die normative Kraft des Faktischen hat
während seiner Laufbahn auch vor dem
Allround-Profi Oliver Bierhoff nicht
halt gemacht, der längst so etwas wie
ein Ober-Kapitän der Nationalmann-
schaft ist und dafür keine Tore mehr
schießen muss. Persönlichkeiten set-
zen sich im Fußball auf Dauer immer
durch: ob mit oder ohne Binde.
Roland Zorn
coach, und seinem Star, dem gerne
mal etwas lauteren Sachsen zu tun.
„Kapitän sein“, hat Matthäus einmal
gesagt, „das ist ein Drahtseilakt
zwischen Trainer und Mannschaft.“
Wer dabei im Konsens zu handeln
versucht, ist im Vorteil; wer seine
Kompetenzen aus der Sicht der gro-
ßen Steuermänner mit Trainerpatent
zu weit auslegt, muss dafür manch-
mal auch den Preis zahlen. Derzeit
kommt es auch mit Hilfe des Natio-
nalmannschaftskapitäns zuerst und
vor allen Einzelinteressen auf hoch-
wertige Teamarbeit an. Deswegen
sagt Nationalmannschaftsmanager
Oliver Bierhoff: „Die Kapitänsfrage
wird etwas überbewertet. Optimaler-
weise erkennt er, wenn es interne
Konflikte gibt und bestimmte Dinge
nicht funktionieren. Er versucht dann,
mit seiner Autorität ausgleichend zu
wirken.“
Walter, der Regisseur, Beckenbauer,
der Libero, Matthäus, der Antreiber,
und Lahm, der Außenbahn-Dyna­
miker – es waren ganz unterschied­
liche Spielertypen, die den Deut-
schen ihre vier Weltmeistersterne
vom Himmel holen halfen. Und des-
halb ist es im Grunde auch müßig,
lange darüber zu reflektieren, ob es
im Mannschaftsgefüge Positionen
gebe, die für Kapitäne wie gemacht
seien oder eben nicht.
Jürgen Klinsmann nutzte in seiner
Zeit als Teamchef auf dem Weg zum
„Sommermärchen“ 2006 das Hilfs­
argument, dass ein Torwart nicht den
Einfluss auf seine Mitspieler habe wie
der von ihm 2004 stattdessen zum
„Capitano“ beförderte Michael Bal-
lack als zentraler defensiver Mittel-
feldmann. Mit Kahn als energie­
geladenem Spielführer waren die
Deutschen 2002 bei der WM in Japan
und Südkorea immerhin Zweite des
Turniers geworden. Dass das Wort
des Anführers Kahn ungehört ins
Leere gelaufen wäre, nur weil er
hinter den zehn Feldspielern auf
meist fabelhafte Art und Weise
Gegentore zu verhindern verstand,
ist nicht überliefert.
Ballack so kraftvoll
als Kapitän wie Kahn
Ballack nahm sein Mandat ähnlich
kraftvoll an wie Kahn. Dass Bundes-
trainer Löw den Kahn-Erben Ballack
nach der WM 2010 nicht mehr in die
Nationalmannschaft berief und folg-
lich auch nicht länger als Kapitän
benötigte, hatte auch mit der über die
Jahre gewachsenen Entfremdung
zwischen ihm, dem eher leisen Chef-
„SPIELMACHER VON HOHEN
GNADEN“: DIE KAPITÄNE FRITZ
WALTER UND FERENC PUSKÁS
VOR DEM WM-FINALE 1954.
1...,13,14,15,16,17,18,19,20,21,22 24,25,26,27,28,29,30,31,32,33,...48
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