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HISTORISCHER RÜCKBLICK
KAPITÄNE DER DDR-AUSWAHL
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Große Persönlichkeiten und starke Charaktere gab es auch unter den Kapitänen der
DDR-Auswahl. Wie zum Beispiel ihr letzter Spielführer Matthias Sammer, der nur einmal, im
293. und letzten Länderspiel der DDR-Auswahl, die Binde trug. Oder wie Dixie Dörner, der
Rekordkapitän. Aber auch Bernd Bransch und René Müller. Vier Häuptlinge, die den Kopf
hoch hielten im von der Politik geforderten Primat des Kollektivs – im Zwiespalt zwischen
Frust und Freude.
Sammer, Müller, Dörner, Bransch: der letzte und drei große Kapitäne der DDR-Auswahl
Es ist ein kurzer Moment im Brüs­
seler Van-den-Stock-Stadion, der auf
der Tribüne mehr als ein Dutzend
Bundesligaspäher die Hälse recken
lässt. Das Stadion raunt. Ein Angriff
der Belgier war von Matthias Sammer
spektakulär beendet worden. Der
Neu-Stuttgarter drosch den Ball
nicht aus der Gefahrenzone. Er be-
handelte die Kugel wie ein rohes Ei.
Jonglierte einmal, zweimal, um das
Spielgerät dann über den Gegen­
spieler zu heben. Wobei er dabei auf
der eigenen Torlinie stand. Unglaub-
lich! Das letzte Länderspiel der
DDR-Auswahl sieht am 12. Sep­
tember 1990 einen in jeder Hinsicht
vorbildlichen Spielführer.
Dabei war Sammer eher zufällig zur
Kapitänsbinde gekommen. Trainer
Geyer hatte vor dem Spiel nicht weni-
ger als 22 Absagen erhalten. Neben
Kirsten, Thom oder Doll, die schon im
Westen spielen, fehlen auch Heyne
(Magdeburg), Ernst (Berlin) und Lind-
ner (Leipzig), die im letzten Länder-
spieljahr der Noch-DDR alle schon
die Binde tragen durften. Als Sam-
mer zum Treff in Berlin erscheint,
kann er genau 13 Spieler begrüßen.
Im ersten Frust will er will sofort
wieder abreisen, um nicht als Kapitän
der „schlechtesten“ DDR-Auswahl
aller Zeiten in die Geschichtsbücher
einzugehen. Doch die letzte Maschine
zurück nach Stuttgart ist schon weg
und der Rest bekannt. Der Rotschopf
pusht das Rumpfteam, erzielt beide
Treffer zum 2:0-Überraschungs­
erfolg der DDR. Als ihr letzter Kapi-
tän wird er noch im gleichen Jahr
der erste Ost-Spieler im Team des
Weltmeisters sein.
Wie Sammer, so befinden sich auch
seine Vorgänger oft in einer Zwick-
mühle. Den DDR-Kickern fehlen nicht
nur die großen Erfolge. Gerade auf
Auswahlebene verkommt der Lieb-
lingssport der Massen immer wieder
zum Spielball der Politik. Bernd
Bransch (72 Länderspiele/45 mal
Kapitän), Hans-Jürgen Dörner (100
LS/60 mal Kapitän) und René Müller
(46 LS/32 mal Kapitän) können ein
Lied davon singen. Jeder aus diesem
Trio hat mehr als die Hälfte seine
Länderspiele als Kapitän bestritten.
Phasen mit hoher Anerkennung und
ehrlicher Begeisterung der Anhänger
genossen, aber auch Momente der
kritischen Distanz oder sogar der
Ablehnung erlebt. Wie haben sie,
drei große Persönlichkeiten des
DDR-Fußballs, ihre Zeit als Kapitän
empfunden?
Im Zwiespalt zwischen
Frust und Freude
VIER KAPITÄNE DER DDR-AUSWAHL:
MATTHIAS SAMMER (1), RENÉ
MÜLLER (2), HANS-JÜRGEN „DIXIE“
DÖRNER (3), BERND BRANSCH (4).
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