CdN Magazin 23 ePaper - page 29

war Netzer. Günter Netzer stand für
eine neue deutsche Ballkultur, fuhr
Ferrari, flankierte schöne Frauen,
schlug im Rahmen des weltoffenen
Fußballs hemmungslos Steilpässe,
und aus dem Solo, das er beim 3:1 im
Viertelfinale gegen die Engländer in
Wembley mit flatternden Haaren aus
der Tiefe des Raumes hinlegte, würde
man heute einen Videoclip basteln,
unterlegt mit fetziger Rockmusik.
Es war traumhafter Fußball. Maier –
Höttges, Schwarzenbeck, Becken-
bauer, Breitner – Wimmer, Netzer,
Hoeneß – Grabowski, Gerd Müller,
Held. Das war die Mannschaft, der
mit jenem magischen Auftritt in Lon-
don der erste deutsche Länderspiel-
sieg auf englischem Boden gelang.
Auch beim 3:0 im Brüsseler Finale
zwei Monate später gegen die Sow-
jets waren alle ihr Geld wert. „10.000
Mark vom DFB hat’s gegeben, und
adidas hat noch 10.000 dazugelegt“,
menschlichen Neuerung gleich hinter
uns bringen. 1976, beim EM-Finale
gegen die Tschechoslowakei in
Belgrad, ballerte er den letzten
deutschen Elfmeter auf die Autobahn
in Richtung Albanien.
„ ... und alles schreit:
Der Müller machts!“
Doch sein Schmerz war erträglich.
Denn vier Jahre zuvor hatte der
Bayer mit ein paar anderen Helden
und Hexern Fußball von einem ande-
ren Stern gespielt, so unbeschreib-
lich, dass man ihn nur besingen
kann – wie es Gerd („Bomber“) Müller
dankenswerterweise getan hat. Sein
autobiographischer Schlager ging so:
„Dann macht es bumm, ja und dann
kracht’s, und alles schreit: Der Müller
macht’s!“
„Ramba-Zamba!“ jubelte „Bild“.
Ramba war Beckenbauer und Zamba
zeile: „Lasst doch mal den Merkel
ran!“ Den strammen Max, der gerade
beim 1. FC Nürnberg den Meister­
macher gab.
Ein Deutscher drückte jener EM aber
doch den Stempel auf: Kurt Tschen-
scher, der Schiedsrichter. Nach dem
torlosen Halbfinale in Neapel finger-
te der Mannheimer eine Münze aus
der Hose. Zum Losentscheid!
„Machen wir erst einen Probewurf“,
bat Italiens Verbandschef Artemio
Franchi seinen Kollegen Walentin
Granatkin – und die Sowjets hätten
gewonnen. Doch der zweite Wurf
zählte, die Italiener jubelten (sie
gewannen dann auch die EM), und
Granatkin sagte zu Tschenscher:„So was darf es nie wieder geben.“
Wenig später wurde stattdessen das
Elfmeterschießen eingeführt – und
Uli Hoeneß wird dankbar sein, wenn
wir die Uraufführung dieser un-
„FUSSBALL VOM ANDEREN STERN“: LIBERO FRANZ BECKENBAUER UND MITTELFELD-REGISSEUR GÜNTER NETZER
NACH DEM 3:0-FINALSIEG GEGEN DIE UDSSR BEIM ERSTEN EM-TITELGEWINN 1972 IN BRÜSSEL.
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