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VOR 60 JAHREN
WM- QUALIFIKATIONSSPIEL SAARLAND GEGEN DEUTSCHLAND
300.000 Mark hatten sie geboten.
Clemens war Saarlands Fritz Walter.
Auch wenn er den Vergleich nicht
mag. „Ich habe noch nie so viel Spiel-
witz wie bei Fritz gesehen. Als
18-Jährigen habe ich ihn spielen se-
hen, da war er überragend. Bei der
WM war er ja schon 33 Jahre alt.
Er war mein Vorbild. Aber ich war
beileibe nicht so gut“, gibt er sich be-
scheiden. Sie verloren einander nie
aus den Augen. Fritz Walter erzählte
noch 40 Jahre später über Clemens:
„Er war ein überragender Techniker.
Er konnte lange Pässe schlagen und
fütterte das Spiel mit guten Ideen.
Kurt war allerdings ab und zu –
ebenso wie ich – nicht hart genug.“
Beim Rückspiel zwängten sich in
den Ludwigspark 53.000 Zuschauer.
Die Kartennachfrage an diesem
28. März 1954, übrigens Sepp Her-
bergers Geburtstag, war so groß,
dass „Tausende keine Gelegenheit
zum Besuch des Kampfes“ haben,
schrieb die Saarbrücker Zeitung.
Deutschland werde „nichts ge-
schenkt“ bekommen.
Die saarländische Landesregierung
ließ aufgrund der politischen Brisanz
des Spiels keine Nationalflaggen im
Stadion zu. Die Bergmannskapelle
durfte auch keine Hymnen spielen.
Stattdessen waren 200 Zivil-Poli­
zisten im Einsatz, die patriotische
Ausschreitungen verhindern sollten.
Sie mussten aber nicht eingreifen.
Es war ja letztlich doch ein „Bruder-
aus unserer Sicht waren sie Deut-
sche. Die Neunkircher und Saar­
brücker – das waren doch keine Aus-
länder.“ Doch auch hier grätschte
wieder die Politik dazwischen. Denn
von einem „Bruder-Duell“ durfte in
der Öffentlichkeit auf Geheiß von
Saarlands Ministerpräsident Johan-
nes Hoffmann mit Rücksicht auf die
Franzosen nicht gesprochen werden.
Und so schrieb auch das Stadionheft
nur von einem Spiel „unter Freunden
und Kameraden“.
Clemens und Binkert:
Regisseur und Torjäger
„Formell durfte das Saarland keine
Nationalspieler haben. Es war nur
von der FIFA anerkannt, nicht aber
von der Politik“, erzählt Saarlands
Topstürmer Herbert Binkert. Der
heute 90-Jährige erzielte in 174
Oberliga-Spielen 110 Tore für den
FCS. Für die saarländische National-
mannschaft traf er sechs Mal in zwölf
Spielen – mehr als jeder andere in
den insgesamt 19 Länderspielen der
Saar-Elf. Gefüttert hatte ihn Kurt
Clemens. Saarlands Spielmacher.
Der ehemalige Kapitän des 1. FC
Saarbrücken hatte ähnlich wie
Binkert stets mit gravierenden Ver­
letzungen zu kämpfen. Knie, Kopf,
Augen, Füße. „Alles war kaputt“, fasst
er treffend zusammen. 1951 galt er
als der teuerste Spieler Europas. Der
gebürtige Homburger hatte gar ein
Angebot von Real Madrid vorliegen.
12. Juni 1950 sogar, vor dem DFB
eigenständiges Mitglied des Welt­
fußballverbandes FIFA zu werden.
Den DFB nahm die FIFA erst im
Herbst auf. So durfte das Saarland
1954 von der WM in der Schweiz
träumen. Damals kannte Deutsch-
land das Saarland.
Beide Mannschaften waren in der
WM-Qualifikation in einer Gruppe mit
Norwegen. So spielten sie gleich zwei
Mal gegeneinander: Am 28. Oktober
1953 in Deutschland und, vor genau
60 Jahren, am 28. März 1954 in Saar-
brücken. Das Hinspiel gewann die
BRD in Stuttgart mit 3:0. Das Saar-
land gewann in Norwegen nach
einem 0:2-Rückstand 3:2, was
Deutschland nicht gelang (1:1).
Norwegen ging aber in Deutschland
mit 1:5 baden und erkämpfte sich ein
0:0 in Saarbrücken. Die Ausgangs­
lage war damit klar: Gewinnt
Deutschland das „Bruder-Duell“, ist
es in der Schweiz dabei. Gewinnt das
Saarland im Ludwigsparkstadion,
kommt es zu einem Entscheidungs-
spiel im Pariser Prinzenpark.
„Bruder-Duell“ – so nannten sie das
damals. Die Saarländer wollten eh
wieder Deutsche werden. Das ent-
schieden sie im Oktober 1955 in einer
Volksabstimmung, standen aber bis
Ende 1956 unter Frankreichs Pro­
tektorat. „Das war auch für uns ein
komisches Gefühl, gegen die Saar-
länder zu spielen“, erinnert sich Horst
Eckel, Weltmeister von 1954. „Auch
TOR AUS DEM NICHTS: NÜRNBERGS
MAX MORLOCK ERZIELT DAS 1:0.
TOR FÜR DEUTSCHLAND: ENTTÄUSCHUNG BEI DEN
SAARLÄNDERN WALDEMAR PHILIPPI UND KURT CLEMENS.
1...,26,27,28,29,30,31,32,33,34,35 37,38,39,40,41,42,43,44