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AKTUELL IM BLICKPUNKT
100. GEBURTSTAG HELMUT SCHÖN
FEINGEFÜHL: BUNDESTRAINER
SCHÖN MIT JÜRGEN GRABOWSKI
BEIM CROCKETSPIEL WÄHREND
DER WM ’70 IN MEXIKO.
Spieler wieder aufgemuntert und
damit wieder aufgebaut hat. Er hat
immer unglaublich viel investiert in die
Spieler. Leider haben wir es ihm beim
Abschluss seiner Karriere 1978 in
Argentinien nicht zurückzahlen können.
GRABOWSKI:
Er war wirklich kein
Polterer, sondern ein Mensch der
leisen Töne und ein guter Typ, von
dem man unwahrscheinlich viel an-
genommen hat. Dass Helmut Schön
keinem wehtun wollte, war sicherlich
nicht immer positiv. Deswegen hat er
es manchmal versäumt oder zu lange
gezögert, einem zur rechten Zeit eine
harte Entscheidung mitzuteilen.
CDN-MAGAZIN:
Zum Beispiel?
GRABOWSKI:
Nach unserem his­
torischen 3:1-Sieg im April beim
EM-Viertelfinale 1972 in England hat
er mir gesagt: „Jürgen, schone Dein
Knie, ich brauche Dich in sechs
Wochen beim Halbfinale und Finale
in Belgien.“ Dann hat er mir drei Stun-
den vor dem EM-Endspiel 1972 in
Brüssel mitgeteilt, dass er, obwohl
CDN-MAGAZIN:
Als Welt- und
Europameister wurde Helmut Schön
der erfolgreichste aller National-
trainer beim DFB. Was war das
Geheimnis seiner Erfolge?
GRABOWSKI:
Zum einen war er
selbst ein guter Fußballer und Natio-
nalspieler gewesen. Darüber hinaus
war er eine Respektsperson, die eine
natürliche Autorität ausgestrahlt
hat. Allein schon die erste Kaffee­
tafel am Sonntagnachmittag vor
einem Mittwoch-Länderspiel war
etwas Besonderes. Schön verstand
es mit seiner Aura, ein ganz spe­
zielles Flair, eine tolle Atmosphäre
im Kreis der Nationalmannschaft
herzustellen, was mir immer sehr
imponiert hat.
VOGTS:
Sein Geheimnis war seine
menschliche Größe. Das riesige Ver-
trauen, das er seinen Spielern entge-
gengebracht hat. Er war der Erste,
der einen Spieler, wenn er sich ver-
letzt hatte, anrief oder sogar be­
suchte. Er war der Erste, der einen in
der Öffentlichkeit hart kritisierten
tion, der ich alles zu verdanken hatte,
obwohl ich dort oft weitab vom
Schuss rumgelaufen bin, aus weni-
gen Möglichkeiten aber doch recht
viel zustande gebracht habe. Nach
der WM konnte ich aber bei Eintracht
Frankfurt als Spielmacher mit der
Nr. 10 meine gestalterischen Fähig-
keiten mehr ins Spiel bringen.
CDN-MAGAZIN:
Zu einem Zeit-
punkt, als mit Overath und Netzer
die großen Regisseure der ver­
gangenen Jahre nicht mehr dabei
waren ...
GRABOWSKI:
... und Helmut Schön
mich als Eintracht-Spielmacher
praktisch vor seiner Wiesbadener
Haustür spielen sah und mich daher
vor der WM 1978 unbedingt zum
Comeback in Argentinien überreden
wollte. Ich blieb aber bei meinem
Rücktritt, und auch diese Ent­
scheidung habe ich mir nicht leicht
gemacht. Auf jeden Fall empfinde
ich es auch heute noch als ein Rie-
senkompliment, dass mich ein Nati-
onaltrainer wie Helmut Schön nach
vier Jahren noch mal reaktivieren
wollte. Umso mehr tut es mir auch
heute noch leid, dass ich diesen
Mann, den ich wegen seiner Intel­
ligenz, seinem Sachverstand und
seiner Menschenfreundlichkeit be-
wundert habe, enttäuscht habe.
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