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AUF DEM WEG ZUR EURO 2016
DER FUSSBALL IM WANDEL DER ZEIT
Wahr ist: Der Bewegungsradius von
Gerd („Bomber“) Müller war etwa so
groß wie der Umfang seiner zweifel-
los imponierenden Oberschenkel.
Professor Jürgen Buschmann von
der Sporthochschule Köln hat er-
rechnet: „Der erfolgreichste Mittel-
stürmer aller Zeiten hat es in
manchem Spiel auf 3,5 Kilometer
gebracht, während heute schon die
durchschnittliche Laufstrecke eines
Torwarts zwischen vier und fünf
Kilometern liegt.“
So oder so: Ihr Geld waren die „Sitz-
fußballer“ mehr als wert: „10.000
Mark vom DFB hat’s als Prämie ge­
geben, und adidas hat noch 10.000
dazugelegt“, sagt heute Sepp Maier
und lacht über die Peanuts. Die Hel-
den von Bern hätten sich über eine
solch üppige finanzielle Zuteilung
riesig gefreut. Als sie damals heim-
kehrten aus der Schweiz, schilderte
Kapitän Fritz Walter die Geschenk-
korbsituation bei der Zwischenstation
auf dem Kaufbeurer Bahnhof so: „Aus
Nationalmannschaft bei so man-
chem großen Turnier bis 1986 mit
den Reportern Wand an Wand unter
einem Dach wohnte. Wie bei der WM
1978 in Argentinien. Wenn man
damals als Griffelspitzer im DFB-
Camp in Ascochinga spätabends
noch rasch einen zündenden O-Ton
benötigte, schaute man im Pyjama
geschwind gegenüber bei Klaus
Fischer vorbei, und der Schalker
Torjäger sagte: „So spät noch?
Hereinspaziert!“
Heute ist alles anders. Selbst gesi-
chert geglaubte Erkentnisse müssen
nachträglich neu festgezurrt werden.
Zum Beispiel dachten lange Zeit alle,
der Ramba-Zamba-Fußball der
Europameister von 1972 sei in seiner
Virtuosität unübertrefflich. „Traum-
fußball“, schwärmte die Welt. „Stand-
fußball war das!“, hat dann aber
plötzlich Rudi Völler gefaucht. In
seiner legendären Wut-Rede gegen
Günter Netzer. Oder hat er sogar
„Sitzfußball“ gesagt?
Viewing“ vor großen Videoleinwän-
den auf gigantischen Fanmeilen
geben würde, wäre mit dem Lasso
eingefangen, mit Blaulicht in die
nächste geschlossene Anstalt einge-
liefert und gegen Visionen behandelt
worden.
„Wie die Welt sich verändert hat“,
staunte vor Jahren Franz Becken-
bauer einmal fassungslos, als er bei
einem Länderspiel in eine Presse­
konferenz mit ungefähr 44 Kameras
und 256 Reportern geriet. Nein, das
war nicht mehr die heile Welt, in der
er als junger Kaiser noch dunkel­
haarig vor einer Handvoll Reporter
saß, um ihnen bei der WM 1974
das 0:1 gegen die DDR zu erklären.
Beckenbauer: „Fünf Journalisten
waren’s, im Hinterzimmer einer Gast-
stätte in Malente haben wir denen
mitgeteilt, was für einen Mist wir
gespielt haben.“
Diese Überschaubarkeit ist sogar
zeitweise so weit gegangen, dass die
„STANDFUSSBALL ODER SITZFUSSBALL?“: VIELE HALTEN DIE
EM-SIEGER 1972 FÜR DAS BESTE DEUTSCHE TEAM ALLER ZEITEN.
ZUM ZWEITEN MAL DIE BESTEN IN EUROPA:
KAPITÄN BERNARD DIETZ MIT EM-POKAL 1980 IN ROM.
1...,8,9,10,11,12,13,14,15,16,17 19,20,21,22,23,24,25,26,27,28,...48
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