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AKTUELL IM BLICKPUNKT
100. GEBURTSTAG HELMUT SCHÖN
auseinanderbrach. In Argentinien
kam 1978 dann die politische Situa­
tion mit der dortigen Militär-Diktatur
hinzu, worauf die Mannschaft me-
dienmäßig vielleicht besser hätte
vorbereitet werden müssen.
CDN-MAGAZIN:
Was würden Sie
als Ihr persönlich schönstes
Erlebnis mit Helmut Schön be-
zeichnen?
GRABOWSKI:
Als er mir 1974 vor
dem WM-Endspiel sagte, dass ich
von Anfang an spielen würde. An
meinem 30. Geburtstag. Und dies
zusammen mit Bernd Hölzenbein als
Linksaußen. Mit der Frankfurter
Flügelzange zum WM-Titel! Da hat
Schön ganz starkes Rückgrat bewie-
sen und sich nicht beeinflussen
lassen. Der „Holz“ und ich waren
doch angesichts der Münchner Macht
und der starken Lobby vom Rhein
praktisch Einzelkämpfer gewesen.
VOGTS:
Zunächst einmal sollte man
deutlich herausstellen, was er Groß-
artiges geleistet hat bei den WM-Turnieren 1966 und 1970 in England
und Mexiko, wie er 1972 mit der viel-
leicht besten deutschen National-
mannschaft der Geschichte Europa-
meister wurde und zwei Jahre später
Weltmeister. Das ist Helmut Schön!
Das verbinde ich mit ihm. Er hat wirk-
lich ganz, ganz Großartiges für den
deutschen Fußball vollbracht.
„Schön wäre auch heute
ein Erfolgstrainer“
GRABOWSKI:
Genau das ist es,
was zählt und was Helmut Schön
unvergesslich macht. Persönlich
kommt hinzu, dass wir beide in Wies-
baden wohnten, dennoch aber eine
natürliche Distanz zwischen uns
beiden herrschte.
CDN-MAGAZIN:
Was unterschied
Helmut Schön von einem Erfolgs-
trainer der heutigen Zeit?
VOGTS:
Einen solchen Vergleich
halte ich einfach für unzulässig. Gar
nicht zu vergleichen ist zum Beispiel
die Medienlandschaft der damaligen
mit der heutigen Zeit. Zu Schöns Zeit
daher spielt heute auch mal für
mich“. Da kann man nur voller Ironie
feststellen, dass wir dies ja dann
genau so, wie von ihm gewünscht,
umgesetzt haben.
CDN-MAGAZIN:
Und dann habe,
so hieß es damals, zunächst Franz
Beckenbauer in Eurem WM-Camp
in Malente das Kommando über-
nommen?
VOGTS:
In einer großen Zeitung
stand, Franz Beckenbauer hätte auf
den Tisch gehauen. Diesen Tisch
suche ich in Malente immer noch.
GRABOWSKI:
Dieser Meinung vom
Berti kann ich mich nur anschließen.
Klar, die Bayern waren mit ihren
sieben Spielern im Kader, darunter
sechs in der Stammelf, eine geballte
Kraft. Als ich nach dem DDR-Spiel
zunächst aus der Mannschaft flog,
wurde mir zugetragen, dies hätten
die Bayern ausbaldowert. Ich habe
daraufhin Franz Beckenbauer zur
Rede gestellt, und er hat mir glaub-
haft versichert, dass dies nicht stim-
men würde. Dass Franz als Kapitän
mit dem Bundestrainer über die
aktuellen Probleme geredet hat,
war völlig normal. Doch es wäre total
unfair zu behaupten, Helmut Schön
wären die Zügel aus der Hand ge-
nommen worden.
VOGTS:
Helmut Schön hat sich
einen Tag lang total zurückgezogen,
danach dann Einzelgespräche ge-
führt. Mich hat er zum Beispiel
gefragt, ob ich Rainer Bonhof jetzt
gegen Jugoslawien seinen ersten WM-
Einsatz zutrauen würde. Schön wusste
genau, wie er sich in dieser schwie­
rigen Situation zu verhalten hatte.
CDN-MAGAZIN:
Ihre Zusammen-
arbeit als Kapitän mit dem Bun­
destrainer war 1978 geprägt vom
Scheitern bei der WM-Titelver­
teidigung in Argentinien. Wie groß
war Schöns Anteil an diesem vor-
zeitigen Aus?
VOGTS:
Er hatte überhaupt keine
Schuld gehabt. Die Hauptschuld lag
in der Nacht nach dem WM-Gewinn
1974, als unser Weltmeister-Team
VOGTS:
Er hat die Funktion des
Kapitäns sehr ernst genommen und
hat sich vor der endgültigen Nominie-
rung häufig Ratschläge vom Kapitän
eingeholt. Und bei der WM in Argen­
tinien war ich, dieses Gefühl hatte ich,
ein wichtiger Ansprechpartner für ihn.
CDN-MAGAZIN:
Höchst kritisch
war die Lage 1974 nach der 0:1-Nie-
derlage gegen die DDR während
der WM in Deutschland. Wie haben
Sie beide Helmut Schön dabei erlebt?
GRABOWSKI:
Diese Niederlage hat
ihn ganz tief getroffen. Damit hat er
nicht gerechnet und auch wir nicht.
Er stand ganz deutlich unter Schock.
VOGTS:
Als er nach diesem Spiel in
die Kabine kam, brachte er allein
schon mit seiner für ihn so typischen
Körpersprache seine Enttäuschung
und Niedergeschlagenheit zum Aus-
druck. Diesen Blick vergesse ich nie.
Vor allem weil er vor dem Anpfiff
noch gesagt hatte, „also Jungs ihr
wisst ja, ich bin in Dresden geboren,
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