CdN Newsletter 21 - page 19

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Das blinde Verständnis schlug
manchmal fast Kapriolen. Der VfB
gastierte einmal im Europacup im
zyprischen Larnaca, und wir Journa-
listen saßen direkt am Spielfeldrand,
an einem Biertisch mit Telefon. In
der Schlussminute klingelte es, die
Heimatredaktion fragte schon einmal
ungeduldig nach Stimmen zum Spiel,
und weil Nationalspieler Walter
Kelsch direkt vor mir gerade den Ball
zum letzten Einwurf aufhob, rief ich
ihm zu: „Walter, kannst du mal kurz?“
Der Torjäger – vier Länderspiele, drei
Tore – nahm den Hörer und gab das
Nötigste durch. Ob er den Einwurf
danach noch selbst ausgeführt hat
oder ein anderer, oder ob der Schluss-
pfiff dazwischenkam, weiß ich jetzt
gar nicht mehr – jedenfalls aber war
der Umgang zwischen den Kickern
und uns Journalisten oft die reine
Freude.
kriegsmodell der Reiseschreibma-
schine „Olympia“ getippt und, falls
wir gerade eine Münze parat hatten,
aus einer öffentlichen Telefonzelle
vor dem Stadion in die Heimatredak-
tion durchdiktiert. Es war die Zeit der
Buschtrommel, aber sie hatte ihren
Charme.
Miteinander – so hieß das Motto.
Sogar den Mannschaftsbus hat man
sich noch gelegentlich geteilt. Einmal
saß ich auf der Heimfahrt von einer
Auswärtspleite des VfB Stuttgart
neben dem geknickten Torjäger Ott-
mar Hitzfeld, der in den 70ern ein
kreuzgefährlicher Amateurnational-
spieler gewesen war. Plötzlich pack-
te er seine Sporttasche aus und
sagte: „Essen müssen wir trotzdem.“
Und dann putzten wir die Wurstbrote
weg, die ihm Beatrix Hitzfeld daheim
mit Senf und Liebe bestrichen hatte.
ich in Pantoffeln und notfalls im
Pyjama geschwind durchs Gras
hinüber, klopfte an die Tür seines
Flachbungalows, und der Schalker
Mittelstürmer sagte: „Was, so spät
noch wach? Hereinspaziert!“ Das
Allerschönste aber war: Was er sagte,
durfte man dann auch schreiben.
In der heutigen Medienära des mo-
dernen Fußballs muss ein Interview
dagegen vor der Veröffentlichung
erst noch zur Autorisierung vorgelegt
werden, und von der Urfassung bleibt
oft genug nicht viel übrig. Als letzte
Romantiker wollen wir deshalb hier
und heute lieber über die Gnade der
frühen Geburt und die Zeiten plau-
dern, als die Fußballer noch eigen-
händig die Tore auf den Platz ge­
tragen und sich vor allem jedem
Interview gestellt haben. Wir Re­
porter haben es dann in unser Nach-
NATIONALMANNSCHAFTS-PRESSEKONFERENZ ANNO 1978: BUNDESTRAINER HELMUT SCHÖN
MIT JOURNALISTEN IM MANNSCHAFTSQUARTIER ASCOCHINGA BEI DER WM IN ARGENTINIEN.
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