CdN Magazin 24 ePaper - page 19

19
richter wirft nochmal, Liverpool jubi-
liert – und jeder glaubt, das sei jetzt
der spannendste Moment in der
Geschichte des Münzwurfs gewesen.
Doch drei Jahre später ist auch im
EM-Halbfinale zwischen Italien und
der Sowjetunion ein Losentscheid
nötig. Der Mannheimer Schieds­
richter Kurt Tschenscher fingert aus
der Hosentasche eine Münze.
„Machen wir einen Probewurf“, bittet
Italiens Verbandschef Franchi seinen
Kollegen Granatkin. Die Münze fliegt
durch die Luft und landet so, dass die
Sowjets die Sieger wären. Doch was
zählt, ist der zweite Wurf. Die Italie-
ner schreien vor Glück – und Granat-
kin fleht: „So etwas darf es nie mehr
geben.“ Also wurde kurz danach das
Elfmeterschießen eingeführt.
Uns Deutschen kann das alles egal
sein. Wir wissen, was nächstes Jahr
im EM-Finale in Paris, sollten wir
dabei sein, zu tun ist, wenn es in der
Verlängerung eng wird. Wir machen
es wie im WM-Finale 2014 in Rio, mit
unserer eigenen Regel, an der keiner
rüttelt: Schürrle auf Götze ...
Oskar Beck
andere Vorschrift: „Gleiche Höhe ist
kein Abseits.“
Viel schneller als die Regel, wonach
bis 1990 gleiche Höhe jahrzehnte-
lang tatsächlich Abseits gewesen
war, hat man diesen „jähen Tod“
wieder abgeschafft. Denn er war
unmenschlicher als das Schlimmste,
das es im Fußball je gegeben hat –
der Münzwurf.
EM-Halbfinale ’68 mit
Münzwurf entschieden
Für alle, denen diese Folter dank der
Gnade der späten Geburt erspart ge-
blieben ist, hier ein kurzer Griff ins
verstaubte Albtraumarchiv. 24. März
1965, Europacup der Landesmeister,
1. FC Köln gegen FC Liverpool,
Viertelfinale. Nach Verlängerung
steht es 2:2. Es regnet, im Morast
am Mittelkreis versammelt sich
eine Menschentraube aus Spielern
und Funktionären, der Schiedsrichter
wirft seine Münze – und dieses
Dreckstück von Geldstück bleibt im
Schlamm stecken, senkrecht, auf der
Kante. Alle sind fix und fertig, kreide-
bleich schließen Millionen vor dem
Bildschirm die Augen, der Schieds-
dem fürchterlichen Nebeneinander
von Allgäuer Käse, Porzellanfiguren,
Aschenbechern wurde bald ein
Durcheinander von Pralinen, Wein­
flaschen und Kuhglocken.“ Später
bekam jeder auch noch einen bayri-
schen Löwen aus Nymphenburger
Porzellan, flankiert von einem Kühl-
schrank, einem Fernseher und einem
Rasierapparat.
Andere Zeiten, andere Sitten. Andere
Prämien, andere Regeln. Sie kamen
und sie verschwanden wieder – wie
das „Golden Goal“. Oliver Bierhoff
sollte gelegentlich mit dem Licht­
bildervortrag seiner EM-Heldentat
von 1996 auf Tournee gehen und den
Jüngeren erklären, dass es das tat-
sächlich einmal gab: Diesen „sudden
death“, den er damals in Wembley
den Tschechen zufügte, gleich zu
Beginn der Verlängerung. Tor! Aus!
Deutschland Europameister!
Am 30. Juni 1996 war das in London.
Genau einen Monat früher hat der Hip
Hop-Musiker Sven Mikolajewicz sein
Solo-Debütalbum veröffentlicht. Wir
erwähnen dies hier deshalb, weil der
Titel der LP unter Fußballfans so
heiß diskutiert wurde wie kaum eine
DAS „GOLDEN GOAL“ ALS SCHLUSSPUNKT DER EURO 1996:
JUBELNDE DEUTSCHE, NIEDERGESCHLAGENE TSCHECHEN.
ENTSCHEIDUNG DURCH MÜNZWURF: KÖLN SCHEIDET 1965
MIT WOLFGANG WEBER (MITTE) AUS DEM EUROPAPOKAL AUS.
1...,9,10,11,12,13,14,15,16,17,18 20,21,22,23,24,25,26,27,28,29,...48
Powered by FlippingBook