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SERIE SCHLÜSSELSPIELER ( TEIL 5)
ZENTRALES OFFENSI VES MITTELFELD
Der klassische Zehner war lange die Königsposition des Fußballs. Pelé und Maradona.
Fritz Walter, Overath und Netzer. Platini oder Zidane. Magath oder Balakov. Sie waren,
auch wenn sie nicht alle und immer die „10“ trugen, in der Zentrale des offensiven Mittelfelds
alles auf einmal. Feldherr, Ballverteiler und Vollstrecker, also salopp gesagt Denker, Lenker
und Henker. Sie waren großes Kino und vollendete Kunst. Heute regieren im modernen­
Fußball statt der stolzen Zehner jetzt andere. Doch ihr Mythos lebt.
Als die Genies in der Schaltzentrale noch freie Hand auf dem Spielfeld hatten
Wenn Herbert Grönemeyer nicht
Schauspieler („Das Boot“) und Sän-
ger („Bochum“) geworden wäre,
hätte er es vermutlich mit seiner
drittliebsten Kunst versucht: „Mein
Traum“, hat er verraten, „war es
immer, Fußballer zu sein. Einmal
eingewechselt werden vor 50.000,
dann ein guter Trick ...“
Wer so viel Herz hat, den belohnt der
Fußballgott. Eines Abends kreuzte
bei einem Grönemeyer-Konzert plötz-
lich Felix Magath auf, schenkte dem
Musiker ein Trikot mit der „10“ und
sagte: „Du bist der richtige Kracher
für diese Position.“
Magath war selbst so ein Kracher.
Als HSV-Feingeist konnte er jeden
Trick und Zuckerpass, er war mit dem
Ball per du und laufstark, hatte
Augen vorne und hinten und konnte
ein Spiel lesen, aber auch entschei-
den. Man frage nach bei Juventus
Turin. Und weil der glückliche Felix
das alles konnte, trug er auf dem
Rücken diese Zahl, die schon in den
alten Schriften des Spiels erwähnt ist,
als Erkennungsmarke der genialen
Strategen und großen Feldherren.
Wir reden vom Zauber der „10“.
Diese Magie geht so weit, dass sich
sogar Linksaußen dieser Nummer
bisweilen bedienen, um den Spielwitz
mit dem Torinstinkt und die Genialität
mit dem Wahnsinn zu verbinden –
wie Neymar diesen Sommer beim
Confederations Cup. Nach jedem
seiner Streiche streckte der brasilia-
nische Wunderknabe den Zeigefinger
zum Himmel, und die Engel legten
ergriffen die Harfen beiseite, wenn
er zur Seitenlinie hüpfte und die
Großbildkamera auf seinem Buckel
diese Zahl einfing, die alles erklärte –
die „10“. Es war, als hätte die Regie
den Reset-Knopf ins vorige Jahr­
tausend gedrückt – denn genauso ist
schon König Pelé gehüpft.
„Sogar der Ball bat Pelé um ein Auto-
gramm“, hat in jener glorreichen Zeit
ein nach Luft japsender brasilia­
nischer Reporter verkündet und
vermutlich den WM-Endspielball von
1958 gemeint. Ein Geschichtsschrei-
ber notierte damals in Stockholm:
„Die Zuschauer sperrten Mund und
Augen auf. Das war Fußball wie Jazz-
musik, aber ohne Noten – nur nach
dem Ohr, mit dem Herz, dem Gefühl.
Es war Schaubühne. Varieté. Hexe-
rei.“ Und die Krönung des Zaubers
war dieser Wunderknabe mit der „10“
und Schuhgröße 38. Es waren die
Latschen eines großen Kindes.
Er war 17. Von da an war Fußball
Netzer, Overath und
der Zauber der „10“
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