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möchte Buchwald nicht missen. Eine
Zeit lang aber, sagt er, sei sein Kampf
mit und gegen den Ruhm nicht viel
einfacher gewesen als sein Duell mit
Maradona. „Man ist Weltmeister und
steht voll imFokus. Vorher war man ein
normaler Mensch, der Jeans trug, und
plötzlich wird man genau beobachtet:
Was hat er an? Ich konnte mich ein
Jahr lang nicht mehr frei bewegen.“
Einmal, er vergisst es nie, ging er mit
seiner Frau und den Söhnen Yannick
und Julian in Stuttgart spazieren, auf
der Königsstraße. Autogrammjäger
bestürmten ihn, und er schrieb und
schrieb – bis dem kleinen Julian der
Kragen platzte: „Du bist doch mein
Papa“, rief er, „und nicht der Papa von
denen!“
Aber so ist das halt, wenn Papa Welt-
meister wird – er gehört allen Kin-
dern, die hinter einem Ball herjagen
und davon träumen, in drei Stufen
davonzufliegen und eines Tages auf
dem Mond des Fußballs zu landen.
Oskar Beck
„Dein Mann ist die Nummer 10“, sagte
der Kaiser zu Buchwald, basta.
Für Diego Maradona war dieser
8. Juli 1990 ein trostloser Tag. Er
hatte mit den Argentiniern im Halb
finale die Italiener besiegt und nicht
nur Buchwald im Nacken, sondern
das ganze Stadion. Die Italiener
mochten die Deutschen. Außer Mat-
thäus, Brehme und Klinsmann spiel-
ten bald nach der WM in Rom, Turin
und Mailand auch Völler, Berthold,
Kohler, Häßler, Möller, Riedle (und
später Doll, Effenberg, Sammer,
Bierhoff oder Jens Lehmann) –
doch bevor der bei der WM 1990
ausgelöste Massentourismus der
deutschen Stars über die Alpen
einsetzen konnte (bei Buchwald,
Littbarski und Uwe Bein ging es in
Richtung Japan), mussten sie erst
noch Weltmeister werden.
„Es war“, betont Buchwald, „das
wichtigste Fußballspiel meines Le-
bens. Vizeweltmeister war Deutsch-
land oft genug geworden, das musste
nicht wieder sein.“ Also hat er Mara-
dona aus dem Spiel genommen, und
Brehme erledigte per Elfmeter den
Rest. Nur einen Zweikampf hat der
glorreiche Guido in jener Nacht von
Rom verloren, den gegen Frank Mill,
der sich nach einem Sprint von der
Ersatzbank das Trikot von Maradona
schnappte. Für Buchwald blieb als
Skalp das Hemd von Jose Basualdo,
seinem damaligen Mittelfeldkumpel
beim VfB.
Ach, was könnte er für tolle Ge-
schichten erzählen. Für den Rest sei-
nes Lebens könnte er auf Tournee
gehen und über seine Heldentaten
von 1990 einen Lichtbildervortrag
halten. Aber als stiller Schwabe und
leiser Genießer hängt er sich kein
Schild vor die Brust, auf dem steht:
Guido Buchwald, Weltmeister.
Nach dem Finale ist aber auch er
steil gegangen, wie es sich gehört,
„da haben wir in Rom die Nacht zum
Tag gemacht, und unsere Frauen
mussten schauen, dass wir morgens
den Bus zum Flughafen nicht ver-
passten.“ Das große Gefühl, Ge-
schichte geschrieben zu haben,
„Aaron ist mir später noch zweimal
begegnet“, sagt Buchwald, „aber wir
haben kein Wort darüber verloren.
Der arme Kerl hat in der hollän
dischen Presse wegen dieser Szene
viel einstecken müssen.“ Nach Breh-
mes 2:0 war der Sack zu, und
Buchwald war als bester Sechser der
Welt in den Stein gemeißelt. „Guido
war der wichtigste Spieler des Tur-
niers“, sagte Beckenbauer ein paar
Tage später, „er war sieben Mal Welt-
klasse.“ Im Viertelfinale wurde die
Luft kurz dicker, das dürre 1:0 gegen
die Tschechoslowakei ließ den Kaiser
auf seine Zauberer schimpfen
(„Du bist der Klinsmann, nicht der
Pelé!“) – nur mit Buchwald war er
immer zufrieden.
Ausgerechnet Buchwald. Vier Jahre
zuvor, vor der WM 1986, hatte der
Teamchef den Stuttgarter in der
Sportschule Kaiserau im letzten
Moment aussortiert. „Als er auf mein
Zimmer kam, ist die Welt in mir zu-
sammengebrochen“, erinnert sich der
Verschmähte. „Man hört da gar nicht
mehr zu, man ist einfach nur fertig.“
Hat Beckenbauer es später bedau-
ert? „Seine Frau hat zu meiner Frau
gesagt: Es tut dem Franz leid.“
Heute kann Buchwald darüber lachen.
Das Glück hat bei ihm halt vier Jahre
länger gebraucht – aber er hat sich
bei Beckenbauer dann doch mit dem
neckischen Piekser revanchiert: „Mit
mir hättest du auch 1986 schon Welt-
meister werden können.“
Doch reden wir erst übers Halbfinale.
Andreas Brehme schoss gegen die
Engländer in Turin sein übliches Tor,
doch die glichen in Gestalt von Gary
Lineker aus, und es war kein Fehler,
dass Buchwald danach überall da-
zwischenfuhr, wo es brannte. Not-
falls hätte er auch einen Flugkopfball
gegen die Bordsteinkante gemacht,
und es reichte: Verlängerung. Elfmeter-
schießen. Finale. Gegen den großen
Diego.
Wie wehrt man sich gegen Maradona?
Wie sorgt man dafür, dass der beste
Spieler der Welt sein würziges Süpp-
chen nur auf Sparflamme kocht? Für
Beckenbauer war das keine Frage.
Guido Buchwalds WM-Tipp:
„Weltmeister wird Deutschland,
weil wir einfach dran sind und
eine tolle Mannschaft mit vielen
Variationsmöglichkeiten haben.
Brasilien wird aber seinen Heim-
vorteil nicht verspielen wollen.“