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AKTUELL IM BLICKPUNKT
FUSSBALL-WM IN BRASILIEN
pause gegen Kolumbien (1:1) genutzt
zum Auftanken – denn im Achtel
finale warteten Hollands Europa-
meister. „Die Emotionen haben sich
überschlagen“, sagt Buchwald, „denn
gleichzeitig war es ein Mailänder
Derby, Inter gegen AC. Hier Klins-
mann, Matthäus und Brehme, dort
Gullit, Rijkaard und van Basten.“
Das Stadion stand unter Stark-
strom. Als gelernter Elektriker weiß
Buchwald, wovon er da spricht,
und spätestens als Frank Rijkaard
mittels Spuckfontäne Rudi Völler
das Gel in die Locken blies und beide
„Rot“ sahen, war es kein Spiel mehr
für Wattepuster. Kerle waren gefragt.
Also Guido.
Der galt den meisten bis dahin als
langer Eckiger, nimmermüdes Lauf-
wunder, rustikaler Ärmelhochkremp-
ler, Wachhund, Wasserträger, Ball
eroberer und Zerstörer, kurz: als
Staubsauger vor der Abwehr. Aber er
konnte mehr, und es war Zeit, es allen
zu zeigen. Torlos stand das Spiel auf
des Messers Schneide, und plötzlich
tauchte der vermeintlich Hölzerne im
holländischen Strafraum auf. Gleich
bricht er sich das Bein, dachten alle,
darunter auch Aaron Winter, sein
Gegenspieler – doch stattdessen:
Übersteiger, Zuckerpass zu Klins-
mann, volley, 1:0.
Erba neben dem Comer See kommen
detailliert. Buchwald: „Es war wie ein
Schlössle, und mein Zimmer würde
ich heute noch finden, Nummer 14.
Auch die Stimmung war klasse, der
Teamchef hat uns an der langen
Leine geführt. Geht’s ruhig mal raus,
hat der Franz gesagt, also sind wir
zum Essen beim Italiener ins Dorf
gegangen. Der schöne See, das tolle
Wetter, wir haben alles genossen.“
Vor allem die Spiele. Es waren Heim-
spiele. Mehr als 30.000 deutsche
Schlachtenbummler schlängelten
sich jedes Mal in Karawanen über die
Alpen, und im Giuseppe-Meazza-Stadion in Mailand gesellten sich
dazu noch die Fans von Inter, um ihre
Lieblinge Brehme, Klinsmann und
Matthäus zu bejubeln. Beim 4:1 im
Auftaktspiel gegen Jugoslawien
spielte vor allem Letzterer als
Doppeltorschütze seinen schnellen
Antritt auf den ersten fünf Metern
aus. „Wir wussten sofort, das kann
was Großes werden“, sagt Buchwald,
„alles passte. Wenn wir mit dem
Bus ins Stadion fuhren, hingen unter-
wegs Deutschland-Fahnen aus den
Häusern.“
Nach den Jugoslawen wurden die
Vereinigten Arabischen Emirate (5:1)
weggevespert und die Verschnauf-
Der Urheber des Kosenamens war
aber – Ehre, wem Ehre gebührt – ein
anderer Bayer: Klaus Augenthaler,
der deutsche Abwehrchef. Vor der
WM, im Trainingslager, schlenzte
Buchwald dem einmal den Ball ent-
weder filigran durch die Beine oder
lupfte ihn mit der Hacke über dessen
Kopf, jedenfalls blieb Augenthaler
die Spucke weg, und er schrie: „Hallo,
Diego!“ Durch das WM-Finale, sagt
Buchwald, hat sich das geflügelte
Wort „dann verfestigt“ – und wenn er
heute, 24 Jahre danach, einkaufen
geht, kommt es vor, dass von der
anderen Straßenseite wildfremde
Menschen rufen: „Hallo, Diego!“
24 Jahre! Die Uhr bleibt nicht stehen,
sie tickt erbarmungslos. Doch Buch-
wald sieht immer noch aus wie da-
mals in Rom, als er den Größten zum
laufenden Meter schrumpfen ließ –
kommt er daher, beim Aufstehen
braucht er noch keinen Kran, man
muss ihm noch kein Affenblut und
keine Ameisensäure gegen die Gicht
spritzen, er riecht nicht ranzig, wirft
keine Falten und steht glaubhaft Mo-
dell für die These in Wikipedia: „Er gilt
als einer der besten Defensivspieler
der deutschen Fußballgeschichte.“
Auch das Gedächtnis ist intakt, und
die Erinnerungen an das WM-Camp in
„FIT WIE EIN TURNSCHUH“: DER 53-JÄHRIGE BUCHWALD
BEIM REGIONALEN CDN-STAMMTISCH IM MÄRZ IN STUTTGART.